Lee, Julianne
»Calum ...« Tranen rannen ihm über die Wangen, und er fing an, unzusammenhängende gälische Worte zu stammeln.
»Schach, Ciaran.« Leah beugte sich zu ihm hinunter, um ihre Lippen auf seine Stirn zu drücken. Bei der Berührung beruhigte er sich und blickte zu ihr auf. »Du bist schwer verwundet worden, du brauchst jetzt viel Ruhe.« Mit den Fingerspitzen tupfte sie ihm ein paar Tränen ab. Sein Blick wanderte nach rechts, zu seinem
Arm.
»Ich kann meinen Arm nicht heben.« Panik schwang in seiner Stimme mit.
»Versuch es auch nicht, sonst fängt die Wunde wieder an zu bluten.« Sie hob seinen Kopf und setzte ihm den Wasserkrug an die Lippen. Er trank gierig ein paar Schlucke.
Dann ließ er sich keuchend zurücksinken. Jeder Atemzug schien ihm starke Schmerzen zu bereiten. Leah tauchte ein Leinentuch in den Wasserkrug und begann, sein Gesicht von Blut und Schmutz zu säubern. Er schloss die Augen halb, sein Atem ging regelmäßiger, dann sah er wieder zu ihr auf.
»Wo bin ich?«
»In Nairn. Wenn sie dich hier entdecken, werden sie dich töten, also dürfen sie dich nicht finden. Du bleibst hier, bis es dir wieder besser geht, und dann müssen wir überlegen, wie wir uns nach Frankreich durchschlagen können.«
Er brauchte einen Moment, bis er begriff, was sie meinte. »Wir?«
Sie ließ den Lappen sinken und sah ihm in die Augen. »Ja, wir beide. Ich lebe lieber mit dir im Exil als ohne dich in Britannien.«
»Kein Exil. Auf gar keinen Fall. Ich bleibe hier, selbst wenn ich dafür sterben muss.«
Leah fuhr fort, ihn zu waschen. »Du bist nicht ganz bei Sinnen. Wir werden später darüber sprechen.«
Das kühle Wasser wirkte belebend auf ihn, und bald darauf konnte er ein paar Bissen von dem kalten Fleisch essen, das sie
mitgebracht hatte. Sowie seine anderen Wunden versorgt waren drehte sie seinen Kopf zur Seite, um festzustellen, woher all das Blut in seinem Haar stammte. Zu ihrem Entsetzen entdeckte sie eine Streifschusswunde, die quer über die Seite seines Kopfes verlief. Die obere Hälfte seines rechtes Ohres war abgerissen worden. Als sie die Schwellung unter der Kopfhaut abtastete, begann er zu würgen, als müsse er sich übergeben.
Rasch griff sie nach dem nassen Leinentuch und drückte es gegen sein Gesicht. »Versuch, das Essen bei dir zu behalten. Du musst wieder zu Kräften kommen.«
»Ich bekomme keine Luft!« Seine Bauchdecke zuckte, sein Atem ging flach und viel zu schnell.
Leah fuhr fort, sein Gesicht mit dem feuchten Tuch abzureiben, bis er sich beruhigte und keine Gefahr mehr bestand, dass er das Fleisch und das Wasser erbrach, das sie ihm gegeben hatte. Er schloss die Augen und fiel in einen unruhigen Schlaf.
Sie beobachtete ihn eine Weile, dann deckte sie ihn sorgfältig zu, blies die Kerze aus und kehrte in die Stadt zurück. Zwar widerstrebte es ihr zutiefst, ihn alleine zu lassen, aber wenn sie noch länger ausblieb, würden sich Edwin und Martha auf die Suche nach ihr machen.
In der Folge besuchte sie Ciaran jeden Tag, nachdem sie ihre Verwandten mit irgendwelchen Ausreden abgespeist hatte, und brachte ihm so viel zu essen, wie sie aus der Küche zu entwenden wagte oder in der Stadt kaufen konnte. Sie schmuggelte auch mehr Decken, ein kleines Kopfkissen und eine dünne Strohmatratze, die sie zusammengerollt und in einem alten Mehlsack versteckt hatte, in die kleine Torfkate. In der hintersten Ecke der Hütte fand sie einen niedrigen Holzschemel, auf dem sie sitzen konnte, während sie Ciaran versorgte. Sie hatte auch eine Nadel und ein Stück Faden mitgebracht, damit nähte sie die Wunden zu, obwohl Ciaran sich zuerst sträubte und darauf beharrte, dass sie beides zuvor auskochen sollte. Aber Leah blieb hart. Feuer durfte sie nicht machen, weil der Rauch die Rotröcke anlocken
konnte, also war es ihr auch nicht möglich, Wasser zu erhitzen.
Zwei Tage nach der Schlacht kehrte Leah an einem regnerischen Nachmittag von der Kate in die Stadt zurück. Als sie den Marktplatz überquerte und gerade in das Haus ihrer Verwandten gehen wollte, sah sie voller Schrecken, wie ein rotberockter Soldat einen Mann aus der Kirche auf der anderen Seite des Platzes schleifte. Er trug nur ein zerfetztes Hemd und war über und über mit Blut bedeckt; altem und frischem, das aus einer durch die grobe Behandlung wieder aufgeplatzten Wunde an seinem Oberschenkel strömte.
Der ausgezehrte, hilflose Mann beteuerte immer wieder seine Unschuld; jammerte, er sei mit Gewalt dazu gezwungen worden, in
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