Lee, Julianne
geschlachteten Tieres in den Armen. Da sie fürchtete, jemand könne vorbeikommen und sie sehen, zerrte sie Ciaran rasch in die stockfinstere Höhle unter dem Strohdach und legte ihn auf dem Lehmboden nieder. Dann ging sie wieder nach draußen und jagte das Pferd mit einem Schlag auf die Kruppe davon. Es war zu gefährlich, das Tier zu behalten, sie musste unbedingt vermeiden, unnötiges Aufsehen zu erregen. Irgendjemand würde sich schon darum kümmern.
Mit zitternden Händen tastete sie in der verfallenen Hütte nach der Stelle, wo Ciaran lag. Sie löste den Gürtel unter ihrem Rock und legte Dolch, sporran und Schwert neben ihm auf den Boden. Dann zog sie ihren Unterrock aus und deckte ihn damit zu. Während des ganzen Weges von Inverness hierher hatte er sich weder gerührt noch einen Laut von sich gegeben, aber er atmete noch. Solange Ciaran noch atmete, bestand auch noch Hoffnung.
Sie tastete mit den Fingern nach seinem Kopf, legte den Mund an sein Ohr und murmelte: »Ich komme bald zurück, Liebster. Bleib am Leben. Mir zuliebe. Du darfst nicht sterben. Tha gaol agam ort, Ciaran.«
Dann verließ sie eilig das Haus. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, Tränen brannten in ihren Augen. Ihre Beine zitterten vor Erschöpfung und drohten, unter ihr nachzugeben. Die Furcht, bei ihrem Tun entdeckt und verhaftet zu werden, zehrte an ihren Kräften, aber sie musste durchhalten. Ciaran brauchte sie.
Wichtig war jetzt vor allem einige Dinge für ihn zu beschaffen: Nahrung, Wasser, Verbandszeug, Kerzen, Decken, Kleider. So schnell sie konnte lief sie zu Edwins Haus zurück, dabei suchte sie fieberhaft nach einer glaubwürdigen Lüge, die sie Edwin und Martha auftischen konnte. Wenn sie sie in diesem Zustand sahen - erschöpft, verdreckt und blutverschmiert dann würden sie sie nicht mehr aus dem Haus lassen, so viel stand fest. Was sollte sie dann tun? Sich heimlich hinausstehlen? Aber was, wenn ihr jemand folgte?
Als sie den Marktplatz erreichte, rumpelte ein Karren mit verwundeten Soldaten an ihr vorbei, und ihr kam eine Idee. Sie blieb einen Moment stehen und bemühte sich, den Eindruck zu erwecken, als sei sie völlig aufgelöst.
Dann stürmte sie ins Haus. »Ach, Martha, Edwin! Es war schrecklich!«
Nur Martha saß am Kamin. Ihre Augen waren verweint, und sie drehte unablässig ein Taschentuch zwischen den Fingern. Als sie Leah sah, sprang sie auf. »Leah! Wo bist du nur gewesen?« Sie schlang die Arme um sie und drückte sie auf einen Stuhl nieder.
»Es war schrecklich!« Leah setzte sich und brach in echte Tränen aus, als sie sah, dass sie Marthas Kleid mit Ciarans Blut beschmiert hatte. »Ich wollte Vater suchen, bin mitten in eine Schlacht geraten und musste alles aus nächster Nähe mit ansehen!« Die Erinnerung an die furchtbaren Bilder überwältigte sie. Ihre Hände begannen zu zittern, und sie wiegte sich hilflos hin und her.
»Armes Kind. Aber es war sehr töricht von dir, einfach so...«
»Ich habe Vater gesehen, er lebt und ist unverletzt. Aber sie haben Verwundete hergebracht. Ich muss ihnen Verbandszeug brin-
gen. Und Essen und Wasser... Decken ... Martha, ich kann nicht hier sitzen und nichts tun. Ich muss helfen.« Sonst stirbt Ciaran in dieser verlassenen Hütte.
»Edwin ist fortgegangen, um dich zu suchen. Wir haben eine Todesangst ausgestanden.«
Leah erschrak. Sie wollte nicht, dass irgendjemand nach ihr Ausschau hielt.
Martha eilte geschäftig hin und her, um Leah die verlangten Sachen zusammenzusuchen, dabei wiederholte sie ständig, welche Angst ihnen ihr Verschwinden eingejagt hatte.
»Wir haben uns schon den Kopf zerbrochen, was wir deinem Vater sagen sollen.«
Natürlich, alles, was für sie zählte, war die Meinung ihres Vaters. Leah nahm drei Kerzen aus einem Leuchter, holte einen Feuerstein nebst Zunder aus der Kommode und schob alles hastig in die Tasche. Martha reichte ihr Verbandszeug und etwas Fleisch und Brot, das sie in eine Leinentuch gewickelt hatte, dann eilten die beiden Frauen aus dem Haus.
Auf dem Marktplatz blieb Leah stehen. »Warte einen Moment. Was, wenn Edwin inzwischen nach Hause kommt und feststellt, dass du auch noch verschwunden bist? Bleib du lieber hier und sage ihm Bescheid.« Martha sah sie zweifelnd an, und Leah fuhr rasch fort: »Sie haben drüben in der Kirche ein behelfsmäßiges Lazarett eingerichtet.« Sie deutete auf das schlichte Gebäude, vor dem der Karren stand, mit dem die Verwundeten hergebracht worden waren. »Ich bringe die Sachen
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