Lee, Julianne
katholischen Glaubens seit einem Jahrhundert verboten war, würden die Soldaten sie nicht behelligen, denn seit dreißig Jahren gab es keinen Priester mehr in Glen Ciorram.
Die Mathesons dieses Tales waren überzeugte Katholiken, wagten aber nicht, sich allzu offen dazu zu bekennen. Ehen wurden in Ermangelung eines Gemeindepfarrers per Handschlag geschlossen, Taufen von Hebammen durchgeführt, Beerdigungen - sogar so wichtige wie diese - gingen ohne jegliche Feierlichkeiten von-
statten. Die katholischen Gebete wurden nur mit gedämpfter Stimme gesprochen, und die Soldaten der Garnison gaben vor nicht zu bemerken, wenn sich jemand verstohlen bekreuzigte. Die Ausübung ihrer religiösen Riten brachte jeden Katholiken in Lebensgefahr, was Ciaran als unerträglich beschämend empfand.
Die kleine, an einen bewaldeten Hügel geschmiegte Kirche war von Gräbern umgeben, die meistens noch nicht einmal mit einem Kreuz gekennzeichnet waren. Bis zum heutigen Tage war nur ein einziger richtiger Grabstein aufgestellt worden - der von Ciarans und Sìles Mutter Caitrionagh. Jetzt würden sich zwei weitere weiße Marmorblöcke hinzugesellen. Der Clan begrub Dylan Dubh neben seiner ersten Frau, seine zweite wurde zu seiner anderen Seite zur letzten Ruhe gebettet.
Nachdem Robin Innis die Gebete gesprochen hatte, die Gräber zugeschüttet und die Steine an ihren Platz gestellt worden waren, löste sich die Versammlung auf. Die Clansleute kehrten in stummer Trauer in ihre Häuser zurück; sie hatten einen geliebten Verwandten und allseits geschätzten Anführer verloren.
Ciaran war einer der Letzten, die den Friedhof verließen. Oben auf dem Hang blieb er stehen und starrte zur Garnison hinüber.
Ein rotberockter Wachposten stand am Tor und sah ihn an. Der Anblick der englischen Uniform löste eine Welle der Übelkeit in Ciaran aus. Von frühester Kindheit an hatte er gelernt, die Besatzer zu hassen. Sein Leben lang war er gezwungen gewesen, sich vor den Soldaten zu verstecken, denen es frei stand, mit auf Musketen geschraubten Bajonetten sein Heim zu durchsuchen, wann immer sie Lust dazu verspürten. Man hatte ihm eingeschärft, die Engländer nie zu provozieren oder ihnen auch nur zu lange in die Augen zu blicken. Er hatte Geschichten über grässliche Foltern gehört und die wulstigen Narben auf dem Rücken seines Vaters gesehen, die von Peitschenhieben herrührten. Jeden Tag betete er, dass es eines Tages keinen einzigen Engländer mehr in seinem Land geben würde.
Der Wachposten bemerkte, dass Ciaran ihn anstarrte, straffte
sich, hob seine Muskete und starrte ebenso unbewegt zurück. Ciaran blieb einen Moment ruhig stehen, um dem verhassten Rotrock zu zeigen, dass er keine Furcht vor ihm empfand. »Sassunach nedghlan«, murmelte er, dann spie er verächtlich auf den Boden, ehe er den Heimweg antrat. Schmieriger Engländer.
Den Rest des Tages wusste er nichts mit sich anzufangen. Eine Art lähmender Benommenheit hatte sich über ihn gelegt; er konnte sich auf nichts konzentrieren. Alles in der Burg erinnerte ihn an seinen Vater und an die grausame Gewissheit, dass er Pa nie wieder sehen würde. Die Dienstboten waren eifrig damit beschäftigt, Sachen aus einem Raum in den anderen zu schaffen, damit die Zwillinge aus der Kammer, die sie sich mit Sìles Töchtern teilten, in die von Ciaran umziehen konnten. Die persönlichen Habseligkeiten des Lairds und seiner Frau würden an all diejenigen verteilt werden, die Verwendung dafür hatten oder sie als Andenken aufbewahren wollten. Die Kleider waren für die Ärmsten im Tal bestimmt. Die meisten von Pas Sachen wollte Ciaran allerdings für sich behalten. Seine eigenen Besitztümer wurden gerade in das Privatgemach des Lairds im obersten Stock des Westturmes gebracht.
Ciaran wanderte ruhelos durch die Burg. Er hegte nicht den Wunsch, mit anzusehen, wie die Habseligkeiten seines Vaters zusammengepackt wurden. Und wenn er ganz ehrlich war, verspürte er auch nicht die geringste Lust, den Platz Dylan Dubhs einzunehmen. Wenn doch Pa nur noch am Leben wäre!
Schließlich begab er sich in das im untersten Stock des Nordturms gelegene Arbeitszimmer des Lairds. Obwohl hier nichts verändert worden war, kam ihm der Raum leer und verlassen vor. Ciaran konnte sich einfach nicht vorstellen, von nun an selbst für das Wohl seines Clans verantwortlich zu sein, obwohl sein Vater ihn sorgfältig auf diese Rolle vorbereitet hatte. Die ganze Situation erschien ihm irgendwie
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