Lee, Julianne
Er hatte an dessen Seite bei dem letzten Aufstand mitgekämpft und dabei eine lange Narbe am Kinn davongetragen. Bei céilidhean wurden häufig die Heldentaten von Ciarans Vater gerühmt, und man erzählte auch, er habe bei einem creach auf die Viehherden der MacDonells Robin das Leben gerettet. Ciaran hatte die Geschichte oft bei den abendlichen Versammlungen des Clans gehört. Robin hatte die Herde durch einen Hochwasser führenden Fluss auf das Matheson-Land zugetrieben. Dabei war er ausgerutscht und wäre von der Strömung davongerissen worden, wenn Dylan Dubh nicht blitzschnell reagiert, ihn am Hemdkragen gepackt und festgehalten hätte. Dabei hätten sie beide ums Leben kommen können, doch Dylan hatte Robin erst losgelassen, als es diesem wieder gelungen war, sicheren Halt zu finden. Beide waren heil ans andere Ufer gelangt.
Robin streckte die Beine aus und musterte Ciaran einen Moment lang schweigend, ehe er das Wort ergriff.
»Ich nehme an, die Sassunaich werden dir einen oder zwei Tage Zeit geben, ehe sie anfangen, dich auf die Probe zu stellen.«
Ciaran nickte. »So nervös, wie sie zur Zeit sind, wird es nicht lange dauern, bis ich sie am Hals habe.«
»Wirst du ihnen denn weiteren Anlass zur Nervosität geben, Ciaran Dubhach?«
Eine ausgezeichnete Frage. Allzu viel hing in diesen unruhigen Zeiten davon ab, dass man sich auf die richtige Seite schlug. Ciaran seufzte tief. Sein Blick wanderte über die Bücherregale hinter ihm und blieb an einem keilförmigen Stück Holz hängen. Er griff danach, weil sich eine schwache Erinnerung in ihm regte. Sein Vater hatte ihm dieses Spielzeug geschenkt, als er noch ganz klein
gewesen war; einen seltsamen geschnitzten Vogel mit starren, geraden Flügeln und einem dreigeteilten Schwanz. Es war nicht zu erkennen, wo der Kopf endete und der Rumpf begann. Außerdem hatte er weder Augen noch Füße. Das weiche Holz wies zarte Abdrücke seiner eigenen Milchzahnchen auf.
Ciaran schüttelte die Erinnerung ab und wandte sich wieder an Robin. »Sie hassen uns, was auf Gegenseitigkeit beruht. Ich kann ihre Anwesenheit hier nicht ertragen, und ich werde nicht dulden, dass sie sich noch länger in unsere Angelegenheiten einmischen.«
»Sie sind uns weit überlegen.«
Ciaran sah Robin finster an. »Sie kämpfen wie alte Weiber.«
»Woher willst du das denn wissen?« Robin beugte sich erregt in seinem Stuhl vor, doch seine Stimme blieb ruhig und gelassen. »Du hast noch nie an einer Schlacht teilgenommen. Woher willst du wissen, wie die Engländer kämpfen? Du hast ja nur die Geschichten gehört, die bei einem céilidh erzählt werden.«
Ciaran kniff böse die Augen zusammen, sagte aber nichts.
Robin fuhr fort: »Und was soll dann aus der Brennerei deines Vaters werden? Du weißt genau, welche Hoffnungen er darauf gesetzt hat. Dass es ihm bislang noch nicht gelungen ist, sie zu legitimisieren, bereitete ihm große Sorgen. Du tätest gut daran, deinen Hass auf die Engländer vorerst einmal zurückzustellen und stattdessen zu versuchen, den Traum deines Vaters zu verwirklichen.«
Calums Stimme ertönte plötzlich von der Türschwelle her. »Der Clan wird niemals Frieden mit einem protestantischen Herrscher schließen.« Die beiden Männer fuhren erschrocken zusammen.
Calum hat Recht, dachte Ciaran. Ihm war klar, dass die Mathesons von Ciorram schon seit langem darauf brannten, sich dem nächsten Stuart anzuschließen, der seinen Fuß auf schottischen Boden setzte. Calum zuckte die Schultern. Er sprach mit sachlicher Überzeugung. »Zwischen uns und den Sassunaich kann es keinen Frieden geben.«
»Dein Vater war immer gegen den Krieg, das weißt du genau.«
»Vater war ein großer Mann«, erwiderte Calum mit einem spöttischen Unterton in der Stimme. »Aber er war blind gegenüber allem, was die Engländer betraf. Er hat nie begriffen, dass sie bis zum Äußersten gehen würden, nur um uns zu vernichten.«
»Och, und ob er das begriffen hat! Er hasste die Sassunaich mehr als ihr beiden zusammen, aber er verstand viele Dinge viel besser als wir alle. Er kämpfte gegen die Engländer und tat gleichzeitig sein Bestes, um Frieden mit ihnen zu schließen, wenn sich ihm eine Möglichkeit dazu bot.«
Ciaran dachte daran, dass die Fee ihm erzählt hatte, Pa wäre aus der Zukunft gekommen und hätte daher gewusst, was geschehen würde, tat den Gedanken jedoch gleich als Unsinn ab. Feenspielchen. Sie musste ihm einen Haufen Lügen aufgetischt haben.
»Dylan Dubh kämpfte
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