Lee, Julianne
es ihm gleichgültig war, ob jemand mit ihr sprach oder nicht, solange sie nur nicht respektlos behandelt wurde. Missmutig meinte sie: »Trotzdem sehe ich nicht ein, warum ich nicht bei Onkel Henry bleiben konnte. In London hätte ich vielleicht einen Ehemann gefunden und wäre dort glücklich geworden.«
Der Captain ließ ein schnaubendes Lachen hören, ehe er brummte: »Das halte ich für äußerst unwahrscheinlich.« Sie wusste nicht, ob er damit meinte, es sei unwahrscheinlich, dass sie einen Mann gefunden hätte und glücklich geworden wäre, und im Grunde genommen wollte sie es auch gar nicht wissen, deshalb ging sie nicht weiter darauf ein. Flüchtig fragte sie sich, ob er sie vielleicht mit einem seiner Leutnants verheiraten wollte, aber je länger sie darüber nachdachte, desto stärker wurden ihre Zweifel. Es war wohl eher so, dass Vater überhaupt nicht in der Lage war, sich vorzustellen, sie könne eines Tages heiraten. Seltsamerweise erschien ihr diese Vorstellung noch beängstigender.
Lange Zeit herrschte Schweigen zwischen ihnen, während sie mit der struppigen Mähne ihres Pferdes spielte, geistesabwesend ein paar Zöpfchen hineinflocht, sie wieder löste und von neuem begann. Außer dem dumpfen Hufgetrappel und dem gelegentlichen Knarren von Leder war kein Laut zu hören. Die Spannung zwischen ihr und ihrem Vater wuchs. Sie konnte sein Unbehagen geradezu spüren.
Endlich gab er nach und ergriff wieder das Wort. »Vielleicht tröstet es dich ein bisschen, wenn ich dir sage, dass wir in einer Burg leben werden«, meinte er aufgeräumt, woraufhin sie ein Lächeln unterdrücken musste. Diesen Ton schlug er für gewöhnlich an, wenn er sie aufheitern wollte.
Was ihm auch diesmal gelang. Leah liebte alte Burgen, allerdings fürchtete sie, ihr Vater könne, was ihre neue Behausung anging, ein wenig übertreiben. »Eine richtige Burg? Wirklich? Ich hätte nie gedacht, dass es hier welche gibt, hier leben doch kaum Menschen.«
Der Captain zuckte die Schultern. »Wie ich hörte, ist sie nicht sehr groß, und die äußere Burgmauer soll nur noch eine Ruine sein. Vor Jahrhunderten wurde bei einer Belagerung eine Bresche hineingerissen, und da es in der Gegend kaum Baumaterial gibt, wurde der Rest der Mauer nach und nach abgetragen. Aber das Hauptgebäude steht noch, und es soll sogar recht gut erhalten und bequem eingerichtet sein. Die Burg liegt auf einer Insel am Rand eines Sees. Sie wurde nach einem Geisterhund benannt, kannst du dir das vorstellen? Man kann den Namen kaum aussprechen, ins Englische übersetzt lautet er etwa Haus des weißen Hundes. Die meisten Leute sprechen einfach von der Burg.«
Leah kicherte. »Ein Geisterhund?« Das klang nach einer ebenso amüsanten wie spannenden Geschichte. Ein Schauer lief ihr über den Rücken.
»In der Tat. Dieser Hund wurde angeblich während eines Kampfes getötet, und sein Geist rächte seinen ebenfalls gefallenen Herrn, indem er ganz allein die gesamte gegnerische Partei tötete, als sie sich auf dem Heimweg befand. Es gibt Leute, die behaupten, den Hund schon gesehen zu haben. Sein Anblick gilt als schlechtes Omen.«
Wieder erschauerte seine Tochter. »Merkwürdige Menschen, die ihre Burg nach einer Geistererscheinung benennen. Noch dazu nach einer, die Unglück bringt.«
Ihr Vater verzog missmutig das Gesicht »Ich halte es ohnehin
für eine sündhafte Verschwendung, Schotten in einer guten Burg wohnen zu lassen. Sie sind nicht nur barbarische Highlander, sondern auch Papisten. Und obwohl der amtierende Laird der Krone freundlich gesonnen sein soll, dürfen wir wohl kaum auf ein halbwegs zivilisiertes Benehmen hoffen.«
Leahs Augen wurden groß, ihr Puls schlug plötzlich schneller. »Sie sind Katholiken? Wirklich? Wirst du sie dann nicht verhaften?« Sie hatte niemals erlebt, dass jemand es wagte, sich offen zum Katholizismus zu bekennen. Bilder von behaarten, halbnackten Männern, die Götzen anbeteten, kamen ihr in den Sinn. Vermutlich würden ihr Vater und seine Dragoner sie allesamt in Ketten legen.
Doch Vater schüttelte den Kopf. »Nein, leider darf ich in diesem Fall nicht so hart vorgehen, wie ich es gerne täte, auch wenn ich Britannien am liebsten ein für alle Mal von diesem abergläubischen Pöbel befreien würde.« Seine Worte klangen kurz und abgehackt. »Aber in diesem Land liegt eine Rebellion in der Luft, und ich möchte nicht derjenige sein, der den auslösenden Funken verursacht, indem ich zu streng durchgreife. So lange sie
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