Lee, Julianne
Hewitts Stimme klang schrill vor Angst. »Ich ergebe mich! Aber lass mich am Leben!«
Ciaran bohrte Brigids Spitze leicht in die weiche Haut von Aodáns Hals. Sein verletzter Arm blutete und pochte schmerzhaft, und er sah nicht ein, warum Aodán ohne einen Kratzer davonkommen sollte. Doch ein Blick in die geröteten Augen und das tränenüberströmte Gesicht seiner Schwester stimmte ihn milder. Obwohl er seinem Schwager nur zu gerne eine Lektion erteilt hätte, die dieser nie vergessen würde, bezwang er sich. Stattdessen beugte er sich über Aodán und erhob die Stimme, damit ihn alle Anwesenden hören konnten.
»Nun gut, Aodán, ich lasse noch ein letztes Mal Gnade vor Recht ergehen. Aber merk dir eins: Sollte ich je wieder irgendwo an meiner Schwester einen blauen Fleck, eine Prellung oder sonst eine Verletzung entdecken - egal wie sie dazu gekommen ist —, dann lasse ich dich hängen. Deswegen rate ich dir, dein Leben von heute an der Aufgabe zu widmen, Sìle vor jeglichem Unheil zu bewahren. Ich erwarte von dir, dass du Tag und Nacht auf sie Acht gibst und aufpasst, dass sie nicht ausgleitet und stürzt oder sich an einem Küchenmesser schneidet oder sich mit einer Nadel in den Finger sticht. Hast du mich verstanden, Aodán Hewitt?«
Der Mann am Boden nickte. Ciaran richtete sich auf und schritt davon, wobei er Brigid wieder in die Scheide zurückschob.
Doch plötzlich ertönte hinter ihm Hadleys Stimme: »Nehmt ihn fest!«
Augenblicklich packten die Dragoner Ciaran bei den Armen und einer setzte ihm den Lauf seiner Muskete unter das Kinn.
5. KAPITEL
Er strich die weiße knielange Seidenhose an seinen Beinen glatt und entfernte dabei einen dunklen Fussel von dem feinen Stoß. Das Hausmädchen wurde nachlässig. Er würde ein ernstes Wort
mit ihr reden müssen.
Leah verfolgte den Kampf mit weit aufgerissenen Augen und hämmerndem Herzen. Messer klirrten, der Laird von Ciorram wurde von dem anderen Mann verwundet, und plötzlich war alles vorüber. Der Laird hielt seinem jetzt ängstlich wimmernden Gegner sein Messer an die Kehle. Schottische Selbstjustiz. Leah konnte kaum noch atmen. Sie legte eine Hand vor den Mund und fragte sich, worum es bei dem Streit eigentlich gegangen war, denn sie hatte die gälischen Worte nicht verstehen können.
Vater schien vor Zorn zu kochen. Ganz offensichtlich fand er es unentschuldbar, dass seine Tochter Zeugin dieser hässlichen Szene gewesen war. Er befahl, Ciorram zu verhaften, und einer der Soldaten hielt ihm seine Muskete an den Hals. Leah bedeckte die Augen mit den Händen, blinzelte jedoch immer wieder zwischen ihren Fingern hindurch. Sie hatte furchtbare Angst, die Waffe könne losgehen. Ciorram verhielt sich jedoch ganz ruhig. Er neig-
te den Kopf zur Seite und sah ihrem Vater fest in die Augen. Leah stand Todesangst um ihn aus. Hinter vorgehaltener Hand flüsterte sie immer wieder: »Bitte tu ihm nichts ... bitte tu ihm nichts ...«
Die Stimme des Lairds klang ruhig und gelassen, als er auf Englisch erwiderte: »Ich habe hier die Gerichtshoheit, Hadley.«
»Ihr mögt ja hier der Laird sein«, erwiderte Vater scharf, »trotzdem kann ich handgreifliche Auseinandersetzungen nicht dulden.«
»Macht Euch nicht lächerlich«, entgegnete Ciorram sachlich. Sein Akzent war kaum noch zu vernehmen. »Ihr wärt ein Narr, wenn Ihr Eure Nase in meine Angelegenheiten stecken würdet. Gordon, Argyll und all die anderen Whig-Lairds und Speichellecker Seiner Majestät würden Euch das Fell über die Ohren ziehen, und sei es auch nur, um ihre eigenen gesetzlich verbrieften Rechte zu wahren.« Leah ließ die Hände sinken und sah ihren Vater an. Er hörte aufmerksam zu und schien Ciorrams Worte sorgfältig abzuwägen. Leah begriff, dass dieser >Wilde< ihn allein durch seine Sprechweise beeindruckte. Der Trick funktionierte, das sah sie sofort. Ciorram fuhr trotz der noch immer auf ihn gerichteten Waffe ungerührt fort: »Allerdings muss ich zugeben, dass dies kein besonders geschickter politischer Schachzug wäre.«
Lange Zeit herrschte gespanntes Schweigen, während die beiden Männer ein Blickduell austrugen. Endlich gab Vater nach. »Also gut. Ihr werdet mir Euer Wort geben, dass derartige Kämpfe von nun an unterbleiben. Sollte es aber einmal Tote geben, sähe ich mich gezwungen, Euch nach Inverness bringen und dort vor Gericht stellen zu lassen.«
Ohne mit der Wimper zu zucken erwiderte Ciorram: »Ich denke gar nicht daran. Vergesst nicht, dass jeder Versuch, mich
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