Lee, Julianne
ins Dorf zu schleichen.
»Unfolgsamen Mädchen wird hier zu Lande der Hintern versohlt.«
Leah fuhr erschrocken zusammen und verkroch sich hinter einem Pfosten. Sie wusste nicht, wo die Männerstimme herkam. Suchend blickte sie sich um, während die körperlose Stimme fortfuhr: »Ich möchte wissen, was Euer Vater sagen würde, wenn er wüsste, dass Ihr Euch wie eine Dirne in dunklen Ecken herumtreibt.« Jetzt erkannte sie den Sprecher, obwohl der Akzent wieder stärker durchschlug. Und dann sah sie ihn auf einem wackeligen Stuhl an der Wand des Stalles sitzen. Ciaran Robert Matheson von Ciorram.
Entschlossen, sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen, straffte sie sich. »Mir kommt es eher so vor, als würden unfolgsamen Mädchen in dieser Gegend die Zähne ausgeschlagen.«
Der Laird verzog das Gesicht und stieß ein angewidertes Grunzen aus. »Aodán wird meine Schwester nie wieder anrühren; er weiß, was ihm sonst blüht.« Leah fiel auf, dass er sich umgezogen hatte. Sein feuchtes Haar war wieder im Nacken zusammengebunden, doch noch immer fiel ihm diese eine widerspenstige Strähne in die Stirn. Die roten Male auf seinem Arm verrieten, dass seine Wunde inzwischen genäht worden war.
Er stützte den unverletzten Arm auf ein Knie und fragte spöttisch: »Womit kann ich Euch dienen, Miss Hadley? Möchtet Ihr vielleicht noch andere Teile meines Heimes mit Beschlag belegen? Oder habt Ihr es jetzt auf meine Pferde abgesehen?« Er deutete mit dem Kinn zu den Pferdeboxen hinüber, in denen vier Vollblüter leise schnaubend vor sich hindösten. Für gewöhnlich waren hier auch die Pferde ihres Vaters untergebracht.
Angesichts seines sarkastischen Tones runzelte Leah die Stirn, blieb aber unverändert höflich. Nachdem sie die Pferde des Lairds prüfend gemustert hatte, bemerkte sie: »Wirklich prachtvolle Tiere habt Ihr da. Ich könnte Euch fast um sie beneiden.«
»Und ich könnte ihretwegen jederzeit verhaftet werden und werde es vielleicht noch, wenn Euer Vater einmal einen schlechten Tag hat«
Einen Moment lang sah sie ihn verständnislos an, dann begriff sie. »Ach ja, Ihr seid ja katholisch und dürft deswegen kein Pferd besitzen, dass mehr als fünf Pfund wert ist.«
Er schnaubte abfällig, dann beäugte er sie von Kopf bis Fuß. »Und da heißt es immer, alle Engländer seien Dummköpfe.«
Der Ärger ließ sie ihre guten Manieren vergessen. Ihre Augen wurden schmal. »Ich bin nicht hergekommen, um mich beleidigen zu lassen.«
»Ich habe Euch nicht gebeten, überhaupt herzukommen.«
Die Bemerkung traf sie wie ein Schlag. Sie warf den Kopf zurück. »Glaubt mir, Ciorram, ich würde diesen Ort lieber heute als morgen verlassen.« Sie hielt den Atem an, um die aufsteigenden Tranen zu unterdrücken. Dann fuhr sie fort: »Mein Vater brachte mich hierher, obwohl ich ihn inständig bat, mich bei meinem Onkel daheim in England zu lassen. Ich vermisse meine Heimat und meine Freunde. Man hat mich aus meiner gewohnten Umgebung herausgerissen, und nun muss ich unter Menschen leben, die mich verabscheuen. Nein, ich wünsche mir nichts sehnlicher, als wieder nach Hause zurückkehren zu können.«
Wieder traten ihr die Tränen in die Augen, und diesmal konnte sie sie nicht zurückhalten. Sie senkte den Kopf, damit der Laird sie nicht bemerkte, hob ihre Röcke und machte Anstalten, durch die große Tür in den Burghof hinauszulaufen.
Er sprang auf und hielt sie am Arm fest. »Wartet.«
Leah blieb stehen, wagte jedoch nicht, zu ihm aufzublicken. Mit gesenktem Kopf starrte sie auf den mit Stroh bedeckten Lehmboden. Tranen tropften auf ihren Rock und hinterließen feuchte Flecken.
»Es tut mir Leid«, sagte er leise. »Ich sollte Euch nicht die
Schuld für die Taten Eures Königs geben. Oder Eures Vaters.« Seine Stimme klang weicher als sie sie je zuvor gehört hatte.
Lange Zeit herrschte Schweig en zwischen ihnen. Noch immer hielt er sie am Arm, während er darauf wartete, dass sie ihn ansah Sein Griff war fest, aber nicht halb so grob, wie sie es von ihm erwartet hätte. Er gab ihr dadurch zu verstehen, dass er sie ohne weiteres gewaltsam festhalten konnte, wenn er wollte, es jedoch vorziehen würde, wenn sie aus freiem Willen bliebe.
Endlich sagte er: »Hier ist noch ein Stuhl. Ruht Euch ein wenig aus und wartet, bis Eure Nase nicht mehr ganz so rot ist Es braucht ja nicht jeder zu sehen, dass Ihr geweint habt.«
Leah berührte ihre Nase. Sie fühlte sich in der Tat leicht geschwollen an. Leise
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