Lee, Sharon & Miller, Steve - Liaden 2 - Der Agent und die Söldnerin
Grunde brachte sie ihn nur in eine tödliche Gefahr, und das Risiko, dass er ihretwegen umgebracht würde, wuchs ständig. Mittlerweile wusste sie eine Menge über ihn – das meiste davon hatte er ihr selbst erzählt. Und er war sich sicher, dass ihren scharfen Blicken und ihrem ausgeprägten Kombinationsvermögen nur wenig entging. Sie gefährdete ihn und seine Mission …
»Was für eine Mission, verdammt noch mal?«
Er sprang auf die Füße und starrte mit wildem Blick auf die chaotischen Wände. Dann schöpfte er tief Atem, um sich zu beruhigen, und kämmte sich mit den Fingern die Haare.
Entspann dich, sagte er sich. Du musst gelassener werden. Hör auf, dir den Kopf zu zerbrechen. Wir befinden uns in Edgers Raumschiff; es ist ausgelegt wie eine Festung. Selbst massivem Beschuss wird es lange standhalten.
Er machte sich bewusst, dass sie sich in Sicherheit befanden, wenigstens für die nächsten Wochen. Es bestand keine akute Gefahr. Für eine Weile konnte er aufatmen.
Er ging an die gegenüberliegende Wand, ohne auf den sich in einem stetigen Fluss befindlichen Boden zu blicken, und setzte sich auf das breite, gepolsterte Sims. Nach einer Weile legte er sich hin, streckte sich der Länge nach aus und wollte noch einmal die Pläne überdenken, die er geschmiedet hatte, um Miri zu helfen. Vielleicht stufte die Mentalschleife diese Überlegungen als Mission ein und reagierte dementsprechend.
Doch dann vergegenwärtigte er sich, dass er sich in einem geschwächten Zustand befand und sich nicht voll auf eine Aufgabe konzentrieren konnte. Seine Ausbildung und seine Erfahrung hatten ihn gelehrt, dass man tunlichst im Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Kräfte sein sollte, ehe man weitreichende Planungen in Angriff nahm. Er musste ausgeruht sein, ehe er eine wichtige Entscheidung traf.
Er schloss die Augen und griff auf die simple Entspannungstechnik zurück, die er vor langer Zeit als Kadett bei den Scouts gelernt hatte. In Gedanken stellte er sich die Farben des Regenbogens vor, eine Nuance nach der anderen, und jedem Farbton ordnete er eine spezielle Eigenschaft zu. Zuerst musste sich der Körper ein wenig entspannen, dann der Geist. Indem die physische Anspannung nachließ, verringerte sich auch der psychische Druck. War erst ein bestimmter Grad an Gelöstheit erreicht, schlummerte man meistens ein. Wer nicht schlafen wollte, sah sich nach diesen Entspannungsübungen jedoch in eine Lage versetzt, in der er aufnahmefähig wurde, um neue Dinge zu lernen, oder er konnte über bestimmte Probleme nachdenken. Nicht zuletzt diente diese Technik dazu, durch Erschöpfung abgestumpfte Reflexe wieder zu schärfen und unter Kontrolle zu bekommen.
Entspannen. Er leitete das Ritual ein, indem er ruhig dalag, die Arme locker an den Seiten ausgestreckt. Er stellte sich die Farbe Rot vor. Rot ist die Farbe der körperlichen Entspannung …
Er musste sich stark konzentrieren, denn immer wieder schoben sich die anderen Farbtöne des Regenbogens vor sein inneres Auge. Rot. Er fokussierte seine Gedanken darauf, versuchte, die Verspannung seiner Brustmuskeln zu lösen. Bald spürte er, wie sein warmes Blut durch die Adern strömte und er wieder freier durchatmen konnte. Danach lockerte er die verkrampften Muskeln im Nacken und in den Beinen. Als er fühlte, dass die Technik wirkte, ging er mit der Übung einen Schritt weiter. Er blendete den schillernden Regenbogen hinter seinen Augen aus, bis er nur noch die eine Farbe sah, die er sehen wollte; er sank durch eine Bewusstseinsschicht nach der anderen, während er sich abwechselnd psychisch und physisch entspannte.
Auf einmal fühlte er sich, als ob er schwebte, merkte kaum noch die tröstende Berührung von Stoff und weichem Leder auf seiner Haut. Im Geist näherte er sich dem Punkt, an dem er entweder einschlafen oder seine Gedanken auf ein Projekt konzentrieren konnte.
Er stellte sich die Farbe Violett vor – die das Ende des Regenbogens markierte. Hinter der Farbe begann sich ein anderes Bild zu formen, ungebeten und unerwünscht. Sofort versuchte er, es zu verdrängen, doch stattdessen wurde es immer plastischer. Er erkannte die Sequenz; sie gehörte zu dem Trainingsprogramm der Exerzitien, einer ausgeklügelten Reihe von Torturen und Übungen, die ihn vom Scout zum Spion gemacht hatten. Zu spät dachte er daran, sich aus dem Bann des Regenbogens zu lösen; nun war er darin gefangen und gezwungen zuzusehen. Dort. Er sah Personen vor sich, Leute, die starben.
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