Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
ich für diese Straße unmöglich einen Parkausweis besitzen.
Entnervt startete ich den Wagen wieder und fuhr los. Dabei merkte ich gerade noch, dass ich nicht angeschnallt war, was ich eilig nachholte, gerade noch rechtzeitig, bevor Herr Kommissar Überkorrekt es sehen konnte. Betont gelassen schaute ich während des Vorbeifahrens geradeaus, obwohl ich ihm viel lieber den Mittelfinger gezeigt hätte. An manchen Tagen ging wirklich alles schief.
*
Die Zeitungsredaktion, in der ich arbeitete, war so ähnlich gestaltet, wie man es aus amerikanischen Filmen kennt – ein riesiges Großraumbüro, nur ohne die Trennwände. Stattdessen standen zwischen den Schreibtischen locker verteilt ein paar Grünpflanzen, die allesamt schon bessere Tage gesehen hatten, genau wie der Rest des Interieurs.
Die Arbeitsplätze waren so angeordnet, dass alle Angestellten Blick zur großen Fensterfront hatten, aber mit dem Rücken zum einzigen Einzelbüro saßen, in dem Jens Hartwig, unser Chefredakteur, residierte, was insofern blöd war, als er die Angewohnheit hatte, seine Tür einen Spalt offen zu lassen und ab und zu herauszuspähen, ob auch alle bei der Arbeit waren und keiner sinnlos im Internet surfte.
Die fest angestellten Zeitungsmitarbeiter ließen sich an drei Händen abzählen, Chefredakteur, Pförtner und Anzeigenabteilung schon mitgerechnet; die Übrigen arbeiteten als sogenannte Freie, ein Schicksal, mit dem auch ich mich eine Zeit lang herumgeschlagen hatte. Freier Mitarbeiter zu sein hatte mit Freiheit nicht viel zu tun, es sei denn, man meinte damit die Freiheit des Arbeitgebers, den Mitarbeiter nach Belieben rumschubsen und für ein lachhaftes Zeilenhonorar ausbeuten zu können. Auf Wunsch der Zeitung durfte der Freie sich den ganzen Sonntag auf eiskalten Sportplätzen oder bei einschläfernden Laientheatervorführungen herumdrücken. Hinterher musste er über solche Schnarch-Events einen unterhaltsamen und zugleich von hoher Sachkenntnis getragenen Artikel schreiben, der höchstens drei Spalten haben durfte und auf eine Viertelseite passen musste, inklusive Foto versteht sich.
Wie lang die Anfahrtswege waren, interessierte niemanden, auch nicht, ob man vielleicht gerade krank oder der Laptop kaputt war. Denn man war ja frei. Fast so frei wie der Zeitungsverlag, der sich solche unbequemen Dinge sparte wie bezahlten Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Sozialversicherungsabgaben oder Arbeitsplatzgarantien während des Erziehungsurlaubs.
Ich für meinen Teil war froh, diesem entwürdigenden Zustand wieder entronnen zu sein. Gleich nach Sophies Einschulung hatte ich mich um meinen alten Posten beworben und war zum Glück sofort wiedereingestellt worden, zwar nur auf Teilzeitbasis mit Dreiviertelstelle, aber wenigstens fest und daher mit all den sozialen Segnungen eines regulären Arbeitsverhältnisses.
Rückblickend ärgerte ich mich immer noch darüber, dass ich mich von Jens – mein heutiger Chef, damals waren wir gleichberechtigte Kollegen gewesen – nach Sophies Geburt zur Kündigung hatte überreden lassen.
»Schau mal, Annabell, jetzt hast du in anderthalb Jahren zwei Kinder gekriegt, wie willst du da weiterhin regelmäßig zu den Bürozeiten in die Redaktion kommen? Arbeite doch einfach als Freie weiter, da kannst du viel zu Hause sein. Du kannst dir die Zeit prima einteilen und bleibst trotzdem im Geschäft!«
»Aber das Geld …«
»Ach wo, kein Problem! Bei deiner Disziplin! Ich war auch drei Jahre lang Freier und bin super über die Runden gekommen!«
Meine Freundin Berit hatte später behauptet, das sei eine dreiste Lüge gewesen. »Wenn Jens überhaupt Freier war, dann einer von denen, die abends heimlich zu solchen Waldparkplätzen rausfahren, wo Wohnwagen mit roten Laternen stehen.«
Im Laufe der Zeit kam ich dahinter, dass Jens wohl einfach jedes Mittel recht gewesen war, um mich loszuwerden. Es hatte eine Beförderung zum Ressortleiter angestanden, und nachdem ich mich aus den Reihen der festen Mitarbeiter verabschiedet hatte, war niemand mehr da, der ihm Konkurrenz machen konnte.
Mittlerweile hatte ich zwar auch ein kleines Ressort unter mir, Gesundheit und Familie, aber Jens war mir als Chefredakteur übergeordnet und durfte mich entsprechend herumkommandieren, was er mit Inbrunst tat.
Ganz zu schweigen davon, dass er ein Chauvinist reinsten Wassers war und obendrein geradezu kleinkindhaft albern. Am besten gefiel es ihm, mich mit Blondinenwitzen zu beglücken. Dabei fand er sich
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