Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
Verlegers? Sein drogensüchtiger Neffe? Oder seine zu Depressionen neigende Schwester? Oder gar die undurchsichtige Schönheit, mit der er seinen letzten Urlaub auf den Seychellen verbrachte? Als dann noch herauskommt, dass Alicia einen großen Teil seines Vermögens erben soll, ist sie plötzlich selbst in Lebensgefahr …
Ich seufzte und pickte die letzten Gnocchi von meinem Teller. »So einfach ist das nicht, weißt du. Sogar die allerkleinsten Kleinverlage kriegen jedes Jahr Tausende von unverlangt eingesandten Manuskripten. Kein Mensch kann sich vorstellen, wie viele Leute gern Bücher herausbringen wollen. Sogar Frau Schmalenberg.«
»Wer ist das?«
»Eine Metzgersgattin aus unserer Nachbarschaft. Sie will mit Bestsellern ihre Rente aufbessern.«
»Ach so.« Berit grinste. »Wetten, dass du besser schreibst als sie?«
»Das muss sich erst herausstellen«, widersprach ich. »Deshalb schicke ich meinen Stoff ja auch nicht an Verlage, sondern will mir dafür zuerst eine Agentur suchen. Mit einer Literaturagentur ist das alles einfacher.«
»Woher weißt du das?«
»Ich lese viel im Internet, da gibt es solche Autorenforen, zum Beispiel …«
Mein Blick fiel auf einen Typen am Nachbartisch, und prompt verstummte ich, denn ich hatte den Eindruck, dass er uns zuhörte. Wir hatten nicht besonders laut gesprochen, aber man konnte nie wissen. Schon vorhin hatte ich das vage Gefühl gehabt, ihn zu kennen, doch ich hatte keinen Schimmer, woher. Er sah aus wie ein nervöses Frettchen, mit leichtem Überbiss, flusigen braunen Stirnhaaren und fliehendem Kinn. Hatte ich ihn vielleicht bei einem Schreibworkshop gesehen? Dann gehörte auch er zu der Fraktion der künftigen Autoren, immer auf der Suche nach neuen Ideen. Tatsächlich, er hatte ein Notizbuch vor sich liegen!
Ich räusperte mich und wechselte rasch das Thema. »Heute Nachmittag habe ich übrigens den Termin bei der Bank. Ich will diese Kreditsache endlich in Angriff nehmen.« Scherzhaft fügte ich hinzu: »Der Filialleiter heißt Kleinlich, aber davon lasse ich mich nicht abschrecken. Für mein Haus tue ich alles. Und wenn ich dafür die blöde Bank ausrauben müsste, frei nach dem Motto Geld oder Leben! «
Berit kicherte, dann schob sie feierlich ihren Teller zurück. »Ich gratuliere dir zu diesem Entschluss, Annabell! In ein paar Jahren wirst du auf den heutigen Tag zurückblicken und dir sagen: Damals hat sich mein Leben zum Guten gewendet! «
»Na ja, ich bin nicht so sicher, dass es klappt.«
»Warum sollte es nicht? Gibt es vielleicht einen zuverlässigeren, vertrauenswürdigeren Schuldner als dich?«
Bei dem Wort Schuldner zuckte ich leicht zusammen, und fast kam es mir so vor, als ginge es dem Typen am Nachbartisch ähnlich.
Wie auch immer, der Gedanke, künftig als Schuldner durchs Leben zu gehen, steigerte meinen Optimismus nicht gerade.
Luigi brachte die Rechnung, jeder zahlte für sich, und Berit meinte: »Glaub mir, du wirst es nicht bereuen. Mit dem Geld schaffst du einen echten Gegenwert! Bevor der nächste Winter kommt, hast du daheim alles wieder tipptopp in Schuss und kannst die tollste Housewarming-Party aller Zeiten veranstalten!«
*
Ich musste an ihre Worte denken, als ich ein paar Stunden später vor der Bank stand und tief durchatmete, weil mir plötzlich jeder weitere Schritt unsagbar schwer vorkam. Allein der schlichte Vorgang, die Tür aufzudrücken und in die Schalterhalle zu gehen, erforderte immense Überwindung. Doch dann dachte ich an die randvolle Wasserschüssel neben meinem Bett und die rieselnden Stellen an der Decke, an den kaputten Boiler und die undichten Fenster, und plötzlich ging es ganz leicht. Wofür waren feste Entschlüsse gut, wenn nicht dafür, dass man sie einhielt? Jetzt oder nie!
Die nette junge Dame, die mir neulich die Unterlagen mitgegeben hatte, führte mich zum Büro des Filialleiters. Es befand sich im hinteren Teil des Gebäudes. In diesem Trakt lag überall dicker Teppichboden, an den Wänden hingen moderne Drucke, das Mobiliar war von futuristischer Eleganz. Es sah ganz so aus, als hätte diese Bank mehr als genug Geld, um einer langjährigen Kundin wie mir ein bisschen davon abzugeben. Zumal es ja nicht geschenkt sein sollte, sondern nur geborgt, natürlich gegen korrekte Zinsen.
Auf dem kleinen Schild neben der Tür stand Harald Kleinlich – Direktor.
Er erhob sich hinter seinem Schreibtisch, als ich sein Büro betrat. Mit ausgestreckter Hand kam er mir entgegen.
»Frau Wingenfeld,
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