Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
wie schön, Sie wiederzusehen!«
»Äh … gleichfalls«, stotterte ich, obwohl ich mich nicht erinnern konnte, ihn schon vorher getroffen zu haben. Entfallen wäre mir das garantiert nicht, denn er gehörte zu den Männern, bei denen schon eine flüchtige Begegnung reichte, um sie nicht mehr zu vergessen.
Er war um die fünfzig und groß, bestimmt einsachtzig, und in seinem maßgeschneiderten Zweireiher machte er eine perfekte Figur. Dichtes dunkles Haar, nur die Schläfen silbern angehaucht, warme braune Augen, fester Händedruck, dazu ein Lächeln, das sofort Vertrauen und mehr weckte … Ich roch sein dezentes, teures Rasierwasser, während ich mich, noch ganz betäubt von diesem ersten Eindruck, in den angebotenen Besuchersessel sinken ließ.
»Womit kann ich Ihnen helfen, Frau Wingenfeld?«, fragte er.
»Mit Geld«, platzte ich heraus. Und hätte gern sofort meinen Kopf auf den Schreibtisch geschlagen. Dämlicher ging es kaum!
Doch der Bankdirektor lächelte nur gleichmäßig freundlich. »Das versteht sich von selbst. Dafür sind wir da.«
»Ich möchte mein Haus sanieren«, fuhr ich in möglichst sachlichem Ton fort, obwohl ich sicher war, dass mein Gesicht wie eine Signalboje leuchtete. »Das Dach muss auf jeden Fall neu gedeckt werden. Und die Bäder müssen gemacht werden. Genauer, ein Bad muss saniert, ein anderes komplett neu eingebaut werden. Die Wasserleitungen müssen erneuert werden, am besten gleich im ganzen Haus. Deshalb muss auch neuer Innenputz her, was sich aber gut trifft, denn der alte ist ziemlich bröckelig. Dasselbe gilt auch für den Außenputz und die Fenster der Dachetage. Die Fenster im Erdgeschoss und im ersten Obergeschoss haben mein Mann und ich schon früher machen lassen. Ebenso die Küche. Die Heizung auch, zum Glück. Aber da wären noch die Türen. Und außerdem …«
Der Bankdirektor unterbrach meine wasserfallartige Schilderung des Sanierungsbedarfs. »Sie erwähnten Ihren Gatten. Sollte er nicht an diesem Gespräch teilnehmen?«
Ich senkte den Kopf. »Das täte er sicher gern, wenn er noch leben würde. Leider ist er vor sieben Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen.«
»Oh, das tut mir leid.« Es klang ehrlich betroffen.
Ich nickte nur, denn reden konnte ich nicht. Die meiste Zeit konnte ich sehr gut damit umgehen. Es war lange genug her, um den schlimmsten Schmerz zu vergessen. Doch die Trauer und das Gefühl des Verlustes kehrten noch manchmal zurück, wie in Wellen, die mit der Zeit immer schwächer wurden. Ab und zu war aber auch eine stärkere dabei, so wie gerade jetzt. Ich erinnerte mich unvermittelt, wie Martin und ich gemeinsam das Haus geschrubbt hatten, nachdem die Küche und die neuen Fenster eingebaut worden waren. Überall waren Staub und Mörtelreste gewesen, und er hatte Schmutzflecken im Gesicht gehabt und mich angelächelt. Damals war ich schon mit Timo schwanger gewesen, hatte es aber noch nicht gewusst. Martin wiederum hatte es nicht mehr erfahren, denn nur zwei Wochen später war er tot gewesen.
Die Fenster und die Heizung waren nur der Auftakt einer Reihe von Sanierungsmaßnahmen gewesen, die wir für die kommenden Jahre geplant hatten, immer schön eine nach der anderen, wie es unsere finanzielle Situation gerade erlaubte. Daraus wurde dann nichts mehr, denn aus unserer war meine finanzielle Situation geworden, und die gab nicht viel her.
Martin war wie ich Journalist gewesen, Redakteur bei einer kleinen Sportzeitschrift; er hatte nicht die Welt verdient, aber wir waren ganz gut zurechtgekommen, weil mir das Haus gehörte und wir daher keine Miete zahlen mussten. Nach seinem Tod waren alle Sanierungspläne schlagartig zum Erliegen gekommen, zusammen mit vielem anderen, was wir uns für unser weiteres Leben vorgenommen hatten. Die kleine Lebensversicherung reichte gerade, um die noch offenen Fensterrechnungen zu bezahlen, die Bestattungskosten zu finanzieren und mich durch die Schwangerschaft zu bringen, die ich abwechselnd krankgeschrieben und mit unbezahltem Urlaub zubrachte – zum Arbeiten war ich nach diesem Schicksalsschlag völlig außerstande. Meine Schwiegermutter hatte mir großmütig ihre Ersparnisse angeboten. Sie habe das Geld zwar in eine altengerechte Wohnung investieren wollen, aber sie könne ja auch genauso gut bei mir einziehen, dann hätte ich auch gleich Hilfe mit den Kindern und überhaupt.
Diese Aussichten sorgten schlagartig dafür, dass ich mich wieder aufrappelte. Ich organisierte nach einem halben Jahr
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