Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
Erziehungsurlaub eine Tagesmutter für Timo und ging zurück in den Job.
Und jetzt war es endgültig so weit, die Pläne für das Haus in die Tat umzusetzen.
»Haben Sie schon darüber nachgedacht, das Haus zu veräußern?«, fragte der Bankdirektor. »Soweit ich es überblicke, ist es völlig lastenfrei. In gesuchter Wohnlage. Großes, eingewachsenes Grundstück. Das könnte gut und gerne …«
»Auf keinen Fall«, fiel ich ihm ins Wort. »Ich kann es unmöglich verkaufen. Es ist sozusagen ein Familienerbstück.«
»Gibt es eine testamentarische Klausel, die den Verkauf untersagt?«
»Nein, das nicht. Aber es geht trotzdem nicht. Es ist …« Ich stockte. Wie sollte ich ihm erklären, was mir das Haus bedeutete? Wo sollte ich anfangen? Etwa mit meiner ersten bewussten Wahrnehmung von dem Haus, dem Gefühl, es anzublicken und zu wissen, dass dies der Mittelpunkt des eigenen Lebens war, eine Zuflucht, die einem niemand nehmen konnte, auch nicht in den schrecklichsten Zeiten? Ich musste ungefähr fünf Jahre alt gewesen sein, als ich dieses Gefühl zum ersten Mal gehabt hatte. Ich war hingefallen und hatte mir auf dem Gehweg die Knie aufgeschürft. Weinend war ich zur Haustür gerannt. Im Vorgarten stand Tante Hannelore und breitete die Arme aus, damit ich hineinlaufen konnte. Sie hob mich hoch und drückte mich fest an sich, und über ihre Schulter sah ich das Haus in der Sonne liegen. Massiv und unerschütterlich, noch ziemlich neu damals, die Fenster blitzend, die Haustür einladend geöffnet, der blühende Vorgarten ein einziger Farbenrausch. In der großen Kastanie hatte ich mein eigenes Baumhaus, darunter eine kleine Sandkiste und eine Truhe, in der meine Spielsachen für draußen aufbewahrt wurden. Onkel Hubert hatte sie gezimmert, genauso wie das Baumhaus und die Sandkiste. Er besaß großes handwerkliches Geschick und hielt das Haus immer in Ordnung, bis zu seinem Tod. Er und Tante Hannelore hätten ihr Leben für mich gegeben, und dass sie mir ihr Haus hinterlassen hatten, war mehr als nur Ausdruck ihrer jahrzehntelangen unverbrüchlichen Liebe. Es war die Essenz unserer gemeinsamen Erinnerungen, angefangen von meiner frühesten Kindheit bis zu ihrem Tod, kurz nachdem ich geheiratet hatte. Ich war damals erst ein paar Monate von zu Hause weg gewesen, Martin und ich hatten eine kleine Wohnung im Nachbarort bezogen. Dann starben Tante Hannelore und Onkel Hubert im Abstand von einem knappen halben Jahr, und da war das Haus, es wartete nur auf mich. Sie hatten nicht mal mein altes Zimmer verändert, alles war noch genau so gewesen wie am Tag meines Auszugs. Was hatte nähergelegen, als das Haus sofort wieder in Besitz zu nehmen? Zumal damals schon Benedikt unterwegs gewesen war.
Nicht nur ich selbst hatte praktisch mein gesamtes Leben in diesem Haus zugebracht – auch meine Kinder waren darin aufgewachsen. Es wegzugeben hieße, uns alle zu entwurzeln. Deshalb war es unmöglich! Völlig unmöglich!
»Ich liebe dieses Haus mehr als mein Leben!«, sagte ich verzweifelt. »Ich würde eher sterben, als es aufzugeben!«
»Das sind dramatische Worte für eine derart baufällige Immobilie.« Der Bankdirektor betrachtete mich mitleidig. »Glauben Sie mir, manche alten Häuser stößt man besser ab, statt sich dafür Schulden aufzuhalsen.«
»Was heißt alt! Es ist genauso alt wie ich!«
Er blätterte den Kreditantrag durch und legte den Finger auf die Stelle mit meinem Geburtsdatum. »Äh, ja. Nun, ich fürchte, dann ist es schlimmer als ich dachte.«
Ihm entging nicht, dass ich zusammenzuckte. »Das sollte keineswegs eine Beleidigung Ihres Anwesens oder Ihrer sehr jugendlichen Erscheinung sein«, beteuerte er. »Es hängt vielmehr mit der Laufzeit von Grundstücksdarlehen zusammen. Diese sind für gewöhnlich auf lange Fristen ausgelegt.« Er hüstelte. »Oft sogar jahrzehntelange. Und das mit gutem Grund. Je kürzer die Laufzeit, desto höher sind im direkten Vergleich Zins und Tilgung, was sich entsprechend auf die monatliche Belastung auswirkt. Setzt man nun das Lebensalter, respektive die noch verbleibenden Berufsjahre zum Kapitalbedarf ins Verhältnis – man kann nicht umhin, das einzubeziehen, vor allem im Hinblick auf die für die Tilgung verfügbaren Einkünfte –, so ergeben sich dabei unterschiedliche Berechnungsmodalitäten. Denn neben dem Eigenkapitalanteil wird die Annuität auch durch den Tilgungssatz bestimmt.«
Ich verstand nur Bahnhof. Er erzählte noch eine Menge mehr, über variable und
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