Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
raste die Treppe zur U-Bahn runter. Er war so schnell verschwunden, dass ich eine Sekunde lang glaubte, ich hätte mir alles nur eingebildet, aber dann tauchte eine Frau auf, die gerade die Treppe heraufkam und empört über die Schulter zurückblickte. Sie sagte etwas, das wegen der Entfernung nicht zu verstehen war, aber ihrem ärgerlichen Gesichtsausdruck zufolge war es vermutlich so etwas wie blöder Rüpel ; offenbar hatte er sie bei seiner Flucht angerempelt. Und dass es eine Flucht war, unterlag keinem Zweifel. Er hatte mich erkannt, und ich ihn, und er hatte auf der Stelle Fersengeld gegeben. Damit war zugleich auch klar, dass er wirklich der Bankräuber war. Ich hatte Auge in Auge dem Kerl gegenübergestanden, der mich um ein Haar erschossen hatte!
*
Völlig aufgelöst raste ich sofort zum Polizeipräsidium. Eigentlich hätte ich wieder in die Redaktion gemusst, ich hatte mir für den Termin bei Ines eine Stunde freigenommen, aber an Arbeit war jetzt nicht zu denken. Ich stand förmlich neben mir vor lauter Aufregung und Angst.
Auf der Fahrt würgte ich drei Mal den Motor ab und entging mehrmals nur um Haaresbreite einem Unfall. Schwitzend und zitternd landete ich schließlich in der Eingangshalle des Präsidiums, wo ich mich wie üblich beim Pförtner anmelden musste. Zu meinem Entsetzen teilte er mir mit, Tobias sei nicht da, weil er heute freihabe. Ich veranstaltete endlose Grabungen in meiner Handtasche, bis ich endlich seine Karte gefunden hatte, auf die er mir seine Handy-Nummer notiert hatte. Wieso hatte ich sie nicht längst eingespeichert? Dann hätte ich mich jetzt nicht zehn Mal vertippen und zwei fremde Leute anrufen müssen, bis ich ihn endlich in der Leitung hatte. Er klang verschlafen, als er sich meldete, aber darauf konnte ich keine Rücksicht nehmen. In wirren Sätzen platzte ich damit heraus, was geschehen war. Zwischendurch fing ich an zu heulen und zu schniefen, es war ein Wunder, dass er mich überhaupt verstand.
»Ich bin in zehn Minuten da«, sagte er.
Es dauerte genau zwölf Minuten, was ich daran merkte, dass ich alle dreißig Sekunden auf die Uhr sah. Mittlerweile hatte ich mich etwas beruhigt. Ich saß auf einem abgeschabten Kunstledersofa in der Ecke der Eingangshalle und zitterte nicht mehr ganz so schlimm wie vorher. Ich hatte es sogar geschafft, mir mithilfe von Handspiegel, Kamm und Löscher ein halbwegs zivilisiertes Aussehen zu verleihen. Man sah kaum noch etwas von der verlaufenen Wimperntusche und den tiefen Augenringen. Zwischendurch hatte ich Berit angerufen, sie wollte auf der Stelle vorbeikommen und mir Valium bringen. Ich erklärte, die Lage erst mal mit Tobias besprechen zu wollen, worauf sie meinte, sie käme dann später vorbei und würde Johannisbeerschnaps von ihrer Oma mitbringen, der wirke sogar noch besser als Valium.
Tobias kam mit Riesenschritten auf mich zugeeilt, er sah besorgt aus. Außerdem ziemlich übernächtigt, mit strubbeligen Haaren, dunklem Bartschatten und zerknautschten Klamotten.
»Ich hatte Nachtschicht«, entschuldigte er sich.
»Tut mir leid, dass Sie jetzt meinetwegen extra aufgestanden sind«, log ich. Ich war noch nie so froh gewesen, ihn zu sehen.
»Ich brauche erst mal einen Kaffee und eine Kleinigkeit zu essen«, sagte er. »Wollen wir zusammen in die Kantine gehen?«
Natürlich wollten wir. Jede Minute in seiner Gegenwart beruhigte mich mehr. Auch die Kantine hatte etwas angenehm Besänftigendes; mit all dem Resopal und Linoleum verströmte sie den tröstlichen Charme einer alten Jugendherberge. Bei der zweiten Tasse Kaffee kam es mir schon fast albern vor, dass ich mich so aufgeregt hatte. Ich würgte sogar ein halbes Brötchen herunter, damit Tobias nicht allein essen musste. Hinterher fühlte ich mich fast wieder normal.
»Rekapitulieren wir mal«, sagte er. »Dieses Frettchen hat Sie also gesehen und ist dann schnell runter zur U-Bahn.«
Ich nickte. »Schneller als schnell.«
»Er hat keine Anstalten gemacht, Sie anzugreifen?«
»Nein, denn dazu hätte er ja auf mich losgehen müssen statt abzuhauen.«
Tobias lächelte, und prompt gluckerte in meinem Magen der Kaffee. Streng genommen war das ein Date. Er hatte mich zum Frühstück eingeladen, oder nicht? Nur in der Polizeikantine, aber immerhin.
»Annabell«, sagte er. »Ich darf doch Annabell zu Ihnen sagen, oder?«
Ich nickte hastig und räusperte mich, um das Gluckern zu übertönen. »Wenn ich Tobias zu Ihnen sagen darf.«
»Wir könnten uns ruhig auch
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