Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
Kleinlich lächelte wohlwollend zurück. »Ich habe eigentlich nur diesen einen: Nehmen Sie sich einen fähigen Anwalt.«
*
Keine Ahnung, was ich mir von dem Besuch in der Bank versprochen hatte. Jedenfalls definitiv mehr als das, was dabei herausgekommen war. Zum Anwalt – in dem Fall zu Ines – wollte ich sowieso gehen, allein schon wegen der Sache mit dem Gerüst. Der Typ hatte heute Morgen schon wieder angerufen und mir gedroht, mich auf zehntausend Euro zu verklagen. Mindestens. Er hatte behauptet, so viel sei sein popeliges Gerüst wert (dass es popelig war, hatte er natürlich nicht gesagt, das war nur meine Meinung). Deswegen hatte ich auch den Termin bei Ines vorverlegt. Eigentlich hatte sie keine Zeit, ich musste richtig auf die Tränendrüse drücken.
Bevor ich mich auf den Weg machte, suchte ich alle Unterlagen zusammen, vor allem den Vertrag mit Fritz Jück und die Kaufbelege für die Dachpfannen, außerdem druckte ich meine Mails an den Karibikflüchtling aus. Die ganze Zeit hatte ich im Stillen gehofft, dass er mir zurückschrieb, zum Beispiel Das ist alles ein ganz schrecklicher Irrtum, ich liege nicht am Strand von Santo Domingo, sondern in einer Spezialklinik für Hirnverletzte und konnte mich so lange nicht melden, weil ich bei einem schweren Sturz vom Dach das Gedächtnis verloren habe. Die Insolvenz ist nur ein böses Gerücht, glauben Sie dem Gerüst-Mistkerl kein Wort, und nebenbei, die von ihm behaupteten Außenstände existieren nur in seiner Einbildung. Viele herzliche Grüße, für immer Ihr Fritz Jück.
Doch natürlich hatte er mir nicht geschrieben. Höchste Zeit, die ganze Sache in anwaltliche Hände zu legen.
*
Ines erhob sich strahlend hinter ihrem Schreibtisch, der ungefähr die Ausmaße eines Billardtisches hatte; sie brauchte eine Weile, bis sie ihn umrundet hatte. »Das freut mich aber!«, sagte sie. »Nimm doch Platz!« Sie deutete auf einen der Besuchersessel, deren futuristisches Lederdesign mindestens so einschüchternd war wie die gewaltigen Ölbilder an den Wänden und der schimmernde Orientteppich. Alles war professionell durchgestylt und atmete schweres Geld. Gegen dieses Büro war das von Harald Kleinlich eine ärmliche kleine Klause.
Ines nahm meine Unterlagen entgegen und rief per Knopfdruck eine Sekretärin, die alles zum Kopieren mitnahm.
»Ich kümmere mich so schnell wie möglich um diese dumme Sache«, versprach Ines mir mitfühlend, nachdem ich ihr alles noch einmal berichtet hatte. »Wie schrecklich das für dich sein muss! Aber keine Sorge, das kriegen wir hin. Als erstes schauen wir, dass du die Pfannen bekommst. Und diesen Gerüsthändler lassen wir auf kleiner Flamme schmoren. Der hat sowieso keine Ansprüche gegen dich.«
»Das ist toll!«, stieß ich mit tief empfundener Dankbarkeit hervor. Mir fiel ein gewaltiger Stein vom Herzen. Die schlimmen Ängste fielen von mir ab. Gleichzeitig plagte mich das schlechte Gewissen, weil ich nie auf ihre Weihnachts- und Urlaubspostkarten geantwortet und sie nach dem Treffen vor zwei Jahren nicht mehr angerufen hatte. Das würde sich ändern! Echte Freunde mussten zueinander stehen! Obwohl …
»Und … ähm, was würde mich dein anwaltlicher Beistand kosten?«
Ines wedelte abwehrend mit ihrer dezent beringten Hand. »Nicht doch. Über Geld sprechen wir unter guten Freunden nicht.« Sie strahlte mich an. »Ich finde es so toll von dir, dass du dich jetzt auch um die ganzen Einladungen für die Abifeier kümmern willst!«
Ich konnte mich beim besten Willen nicht erinnern, mich je dazu bereiterklärt zu haben, schon deswegen nicht, weil mich schon bei dem Gedanken daran Stresssymptome überkamen. Aber jetzt war nicht der Zeitpunkt, mich kleinlich zu gebärden.
Die Sekretärin brachte mir meine Unterlagen zurück, und Ines musste sich für ein wichtiges Mandantengespräch vorbereiten. Ich war froh, der Kanzlei entfliehen zu können; obwohl alles mit viel Echtholz, Bildern, Teppichen und großen Zimmerpflanzen auf edelste Wohlfühlatmosphäre getrimmt war, fand ich die Umgebung beklemmend. Draußen holte ich tief Luft und ging zu meinem Wagen. Ich wollte gerade einsteigen, als ich auf der anderen Straßenseite jemanden stehen sah, bei dessen Anblick mir der Atem stockte. Es war das Frettchen.
Er stand direkt vor der Treppe zur U-Bahn und starrte mich an, als hätte er eine Erscheinung. Ich starrte genauso zurück. Dieser Blickwechsel dauerte höchstens eine halbe Sekunde, dann drehte er sich blitzartig um und
Weitere Kostenlose Bücher