Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
Das heißt, es werden keine Namen genannt und auch sonst nichts, woran Ar… irgendwer erkennen könnte, um wen es sich handelt. Es wird strengste Vertraulichkeit zugesichert.«
Janin kaute auf ihrer Lippe herum. Die Sonnenbrille trug sie nicht mehr, aber die verblassenden Verfärbungen rund um ihr rechtes Auge und die Schwellungen am Kiefer waren trotz reichlich Make-up nicht zu übersehen. »Ich weiß nicht«, sagte sie.
»Zwei Frauen haben schon zugesagt«, warb ich für mein Projekt. »Sie haben aus ihrem Elend herausgefunden und wollen dabei mithelfen, dass andere es auch schaffen.«
»Wo sind die denn jetzt?«
»Im Frauenhaus. Aber nur noch bis nächste Woche. Die eine hat schon eine neue Wohnung, vom Träger vermittelt. Die andere zieht in eine WG, das lief über die Zeitung, also mich.« Drängend fügte ich hinzu: »Ich kann dir helfen, Janin. Du musst es nur wollen. Das Interview wäre natürlich keine Bedingung dafür! Helfen würde ich dir so oder so, du musst nur ein Wort sagen! Wenn du es satt hast, musst du keine Minute länger mit diesem Ar… in dieser Situation aushalten. Das Interview könnte dich darin bestärken, deine eigene Lage besser zu erkennen und sie zu hinterfragen. Und dich zu möglichen Gegenmaßnahmen zu entschließen.«
»Ich weiß nicht«, wiederholte Janin.
»Freitag um zwölf Uhr hier vor dem Kindergarten«, sagte ich. »Wir fahren irgendwohin und reden im Auto. Ich nehme nichts auf, ich mache mir nur ein paar Notizen. Vor der Veröffentlichung zeige ich dir die fertige Fassung. Es wird nur gedruckt, wenn du zustimmst.«
Chantal hatte sich die Schuhe angezogen und schob ihre Hand in die von Janin. Die Kleine war blass, und ich hatte den Eindruck, dass sie dünner geworden war. Ein fragender und zugleich vorsichtiger Ausdruck stand in ihren Augen. Das sonst immer so offene und fröhliche Kind war im Begriff, sich in ein ängstliches kleines Gespenst zu verwandeln.
Janin sah meinen besorgten Blick und verkrampfte sich. »Ich kann nichts versprechen«, sagte sie.
»Das ist okay«, antwortete ich. »Nur, wenn du es schaffst. Ich würde mich sehr freuen.«
Sie nickte mit gesenktem Kopf und ging dann eilig davon, die Kleine an der Hand hinter sich her ziehend.
*
Dreck und Lärm blieben bei mir zu Hause weiterhin an der Tagesordnung, ständig mussten Möbel aus- und umgeräumt werden. Benedikt und Sophie ließen sich nur noch sporadisch blicken. Sophie schlief häufig bei einer Freundin, und auch Benedikt schlug sein Nachtlager oft woanders auf, wobei nur zu hoffen blieb, dass das nicht mit täglich wechselnden Frauenbekanntschaften einherging.
Auch meine Mutter hatte vielfältige Möglichkeiten aufgetan, sich außer Haus zu beschäftigen. Unter anderem hatte sie einen Feng Shui-Workshop bei einer international anerkannten und zertifizierten Dozentin gebucht, so jedenfalls die offizielle Darstellung. Meine Schwiegermutter wollte allerdings über irgendwelche Kanäle herausgefunden haben, dass es sich um die pensionierte Besitzerin eines Blumenladens handelte, die auf 400-Euro-Basis VHS-Kurse gab.
»Diese Dozentin hat von Feng Shui so viel Ahnung wie eine Kuh vom Schlittschuhlaufen«, vertraute Helga mir an. »Aber soll Lieselotte ruhig zu dieser Blumentante gehen und sich den Quatsch anhören. Ich komm hier schon alleine klar.« Sie legte sich die Hand ins Kreuz und stöhnte verhalten.
»Helga, ganz ehrlich, keiner verlangt von dir, dass du dir ein Bein für uns ausreißt. Du musst auch mal an deine Gesundheit denken. Und bei dir zu Hause bleibt wochenlang die ganze Arbeit liegen, das geht doch nicht! Wo wir gerade beim Thema sind – im Internet gibt es momentan diese super günstigen Bahntickets, quer durch Deutschland für nur …«
»Unsinn«, unterbrach sie mich. »Solange hier gebaut wird, stehe ich parat.«
Und das tat sie dann auch. Wie ein Fels in der Brandung. Es gab kein Weichen und kein Wanken. Mir entging nicht, dass sie von gelegentlichen Rückenschmerzen geplagt war, aber auf jede besorgte Anfrage behauptete sie, es gehe ihr fantastisch und sie werde unter keinen Umständen abreisen, bevor nicht der letzte Nagel eingeschlagen und die letzte Fliese verlegt war.
Die Sanierung machte unterdessen Fortschritte. Mit dem Außenputz ging es rapide voran, der Innenputz war fertig. In den nächsten Tagen sollte das Bad im Obergeschoss gefliest werden, dann war auch dieser Sanitärbereich wieder benutzbar. Kein streikender Boiler mehr, keine tuckernden Leitungen! Die
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