Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
daher, dass sie im Morgengrauen, als alle noch schliefen, den Sanierungsdreck vom Vortag zusammengekehrt und gleich anschließend einen Riesenvorrat an Zuckererbsenschoten blanchiert und eingefroren hatte.
Timo machte es nichts aus, dass Helga an meiner Stelle zum Basteln mitging, was vermutlich damit zusammenhing, dass er meine Bastelkünste kannte. Bisher war mir noch jede Laterne misslungen. Mein Sohn war das einzige Kind im Kindergarten, das zum Martinszug mit einem Gebilde auflaufen musste, welches sich sofort nach Ingebrauchnahme in Einzelteile auflöste. Dasselbe galt für selbst gebastelte Osternester oder Adventskalender. Nichts wollte halten, schon gar nicht mit dem Ökokleber aus dem Kindergarten. Abgesehen davon schliefen mir durch das stundenlange Sitzen auf den Kinderstühlchen immer die Beine ein. Sobald ich mich nach einer Bastelaktion von einem dieser Minimöbel erhob, musste ich mich abstützen wie bei einem akuten Anfall von Arthritis und in tief gebückter Haltung den Raum verlassen.
»Es ist sehr lieb von dir, dass du mit Timo zum Basteln gehst«, sagte ich aus tiefstem Herzen zu meiner Schwiegermutter. Und damit es nicht so aussah, als wolle ich unterdessen auf der faulen Haut liegen, fügte ich hinzu: »Ich muss nämlich noch dringend an einem Artikel arbeiten.«
Das war in dem Fall nicht mal gelogen. Am Vortag hatte ich mich wie verabredet mittags mit Janin zum Interview getroffen. Es war eine überaus verschwörerische Angelegenheit gewesen. Wie ein Geheimagent war ich mit ihr um die Häuser gekurvt, bevor ich den Wagen schließlich in der Tiefgarage geparkt und meinen Schreibblock herausgezogen hatte.
Nachdem Janin die erste Scheu überwunden hatte, war sie bereitwillig auf alle meine Fragen eingegangen. Sie hatte sogar seltsam kämpferisch gewirkt, vielleicht wegen der blauschwarzen Druckstellen an ihrem Handgelenk. Olaf war wieder ziemlich grob geworden.
»Vielleicht schaffe ich es«, hatte sie zum Schluss gesagt. »Es kann ja nicht ewig so weitergehen.«
»Ein Wort nur, und ich kümmere mich darum, dass du da rauskommst«, hatte ich ihr noch einmal versprochen. Und ihr vorsorglich ein paar Adressen mitgegeben, wo sie professionelle Hilfe erwarten konnte. Mittlerweile hatte ich auch den Kontakt zu der Leiterin des Frauenhauses vertieft, die bereitwillig ihre Erfahrungen beigesteuert hatte und jederzeit als Ansprechpartnerin für weitere Fragen zur Verfügung stand. Im Grunde hatte ich bereits genügend Material für eine Artikelserie von drei oder sogar vier Teilen; es würde mich Mühe kosten, alles für eine Ausgabe zu kürzen.
Bei der Arbeit an dem Artikel verflog die Zeit im Nu. Anschließend feilte ich noch ein bisschen an meiner Leseprobe für den Roman und dachte mir einen besseren Arbeitstitel aus. Der Titel, den ich mir vorher überlegt hatte – Der Kuss des Todes – war leider schon vergeben, wie ich bei Amazon festgestellt hatte. Sogar mehrmals, auch in Variationen wie Der sanfte Kuss des Todes oder Der kalte Kuss des Todes . Es gab sogar einen Roman mit dem Titel Küss mich, Tod . Nach einigem Hin und Her entschied ich mich für Tote Mädchen küssen nicht . Das klang sowohl spannend als auch romantisch, genau passend zum Genre der sogenannten Ladythriller.
Anschließend verfasste ich eine nette Mail und vergewisserte mich drei Mal, dass ich die Leseprobe auch tatsächlich angehängt hatte. Mittlerweile war sie auf stolze neunzig Seiten angewachsen. Nach meinen Berechnungen war das bereits ein Viertel des gesamten Romans. Das sollte ja wohl für eine profunde Beurteilung durch das Lektorat der Agentur reichen.
Tief durchatmend klickte ich auf Senden und legte damit meine Wunschträume in die kompetenten Hände der Literaturagentin Marlene Bergström.
*
»Kann ich heute Abend das Auto haben?« Benedikt streckte den Kopf durch die Wohnzimmertür.
Ich klappte den Laptop zu. »Meinetwegen. Aber bitte keine endlosen Kilometer. Und du musst vorher noch kurz zum Tierarzt.«
»Warum?«
»Spike hat mal wieder …«
Hinter ihm tauchte ein Mädchen auf, hübsch und dunkelhaarig und definitiv eine ganz andere als beim letzten Mal.
»Hallo, ich bin Julia.«
»… Würmer«, sagte ich lahm. »Äh … Angenehm.«
Was war aus Lucy geworden? Und aus Jana? Oder verwechselte ich die mit Johanna? Man konnte sich kaum noch die Namen merken, ohne sie durcheinanderzuwerfen! Ich sollte wirklich ein ernstes Wort mit Benedikt reden.
»Heute kannst du das Auto nicht haben«,
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