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Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)

Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)

Titel: Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Völler
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rief Barbara mit glockenheller Stimme dazwischen. »Alle Herren rücken eins auf! Bitte im Uhrzeigersinn!«
    Heiko setzte sich zu meiner Mutter, und an meinem Tisch ließ sich ein leicht übergewichtiger Typ mit Karohemd und Koteletten nieder. »Ich bin Bertold, wie Bertold Brecht.« Nach diesem Knaller lachte er fast so penetrant wie Jens über seine Blondinenwitze.
    »Aber ich heiße nicht Brecht, sondern Kracht. Wie Lärm mit Tee.« Erneutes Lachen, dann wurde er vorübergehend ernst. »Ich bin Arzt!«, sagte er selbstbewusst.
    »Kinderarzt?«, fragte ich mit einem Hauch von Ablehnung in der Stimme.
    »Oh, nein.« Er räusperte sich. »Ich bin Proktologe.« Damit gab er sich sofort selbst das Stichwort für den nächsten Witz. »Viele sagen ja, das wäre ein Scheiß job.« Er wartete darauf, dass ich lachte, aber ich verstand die Pointe nicht auf Anhieb, weshalb er weiter ausholen musste. »Die meisten Leute wissen nicht, was genau ein Proktologe macht. Die wenigsten waren schon mal bei einem in Behandlung. Darum erkläre ich es gerne mit einem Scherzchen. Zum Beispiel: Sitzen zwei Proktologen beim Bier. Fragt der eine: Wie war dein Tag heute? Meint der andere: Wie immer alles für’n Arsch.« Erwartungsvoll blickte er mich an und nickte erfreut, als ich mir ein Lächeln abrang. Danach ließ Bertold mir weitere wichtige Informationen über sich und sein Leben zuteilwerden. Unter anderem erfuhr ich, dass er zweiundvierzig war und in einer Gemeinschaftspraxis arbeitete, mit einem Urologen und einem Gastroenterologen. Außerdem war er geschieden und hatte zwei Töchter, die bei seiner Ex lebten. Seine Ex war wieder liiert, mit einem Psychologen, bei dem sie früher mal gemeinsam eine Paartherapie gemacht hatten. Klar, dass er dieses Arschloch von Therapeut wegen Verletzung der beruflichen Standesrichtlinien auf Schmerzensgeld verklagt hatte. Der Prozess war in der zweiten Instanz.
    »Und Sie?«, fragte Bertold, nachdem er mich minutenlang zugetextet hatte.
    »Ich heiße Annabell«, sagte ich widerstrebend.
    »Du liebe Zeit, die Welt ist klein!«, rief Bertold. »Meine Oma hieß auch Annabell!«
    »Uuuund weiter geht es bei unserem Speed Dating for best Ager !«, tönte Barbara dazwischen. »Alle Herren wieder eins vorrücken!«
    Bertold lächelte mich – beziehungsweise eher meinen Busen – zum Abschied an, dann suchte er meine Mutter heim.
    »Oh, ein Arzt!«, hörte ich sie noch sagen, dann zuckte ich zusammen, als ich sah, wer der Mann war, der an meinem Tisch Platz genommen hatte. Es war kein anderer als mein Chef Jens.
    *
    Er musste mich schon vorher gesehen haben, denn seine Verlegenheit war nicht so offenkundig wie meine.
    Ich starrte ihn an. »Ich … nicht, dass du denkst, ich hätte … ich wollte …« Betreten unterbrach ich mein Gestotter und deutete erklärend zum Nachbartisch. »Meine Mutter hat mich hergeschleppt. Ich nahm irrtümlich an, wir würden ins Theater gehen.«
    Er zuckte nonchalant die Achseln. »Klar.«
    »Glaubst du mir etwa nicht?« Herausfordernd hob ich das Kinn.
    Er grinste nur.
    »Und wie läuft es bei dir so?«, fragte ich spitz. »Schon Nummern notiert?«
    Mittlerweile hatte ich nämlich auch kapiert, was es mit den Nummernkärtchen auf sich hatte: Man schrieb sich die Gesprächspartner auf, die man wiedersehen wollte.
    Jens lachte, es klang eindeutig gekünstelt. »Mir geht es ganz ähnlich wie dir. Ich bin nicht zum Anbandeln hergekommen.«
    »Bist du auch aus Versehen hier?«
    »Nein, aber dafür beruflich. Ich recherchiere für einen Artikel über Speed Dating.«
    Das war eine faustdicke Lüge. Er hatte schon mindestens eine Karte beschriftet, mit der Nummer der feschen Rothaarigen zu meiner Rechten, auch wenn er sich gerade beeilt hatte, das Corpus delicti rasch unter den übrigen Kärtchen zu verstecken.
    »Ah«, sagte ich unverbindlich.
    Er blickte grämlich drein, so wie immer, wenn er nicht gerade Blondinenwitze von sich gab. »Ich habe noch was mit dir zu bereden«, sagte er. »Eigentlich hatte ich vor, es auf der Redaktionssitzung zu thematisieren, aber ich dachte, wir sprechen erst mal unter vier Augen drüber.« Er nestelte ein Blatt Papier aus der Innentasche seines Sakkos und warf es mir hin. Ich faltete es auseinander und sah, dass es ein Ausdruck von einem Online-Artikel war. Wie üblich hatte DAS BLATT den Bericht über mein Dach sofort gebracht, kaum dass Klaus Rademann ihn in sein MacBook getippt und das Foto hochgeladen hatte.
    Neben dem Bild, auf dem ich mit

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