Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
Clip auch richtig saß und gut sichtbar war. Sie selbst hatte die Nummer sechs.
Ich wusste immer noch nicht, wozu das alles gut sein sollte. Die ganze Zeit hatte ich die absurde Vorstellung, dass es sich vielleicht um eine Art Versteigerung handeln könnte. Gleich würde jemand eine Palette mit ultimativen Küchengeräten reinbringen, und die Blondine würde alle Artikel einzeln anpreisen, und dann mussten wir unsere Nummernkärtchen zücken, zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten, und schwupps! wäre ich Besitzerin eines neuen Induktionsschnellkochtopfs mit passendem Gemüseeinsatz zum Gesamtpreis von nur 899,-- €.
»Es geht los«, sagte Barbara mit strahlendem Lächeln. »Wir nehmen einfach schon mal Platz, jeder da, wo auf dem Tischkärtchen seine Nummer steht.«
Das Stimmengewirr nahm zu, als alle zu ihren Plätzen strebten. Hier und da war ein verlegenenes Kichern zu hören.
»Ich will keine Töpfe oder so was kaufen«, zischte ich meiner Mutter zu.
»Wer hat denn was von Töpfen gesagt?« Dann hellte sich ihre Miene auf. »Ah, verstehe. Du spielst auf den Spruch mit den Deckeln an.« Sie kicherte ebenfalls, dann deutete sie auf einen der Tische. »Setz dich einfach hin und warte auf die Topfdeckel.« Sie schob mich zu dem für mich vorgesehenen Stuhl, und bevor ich weitere Einwände erheben konnte, saß ich auch schon. Sie selbst setzte sich an den Nachbartisch.
Bei dieser Gelegenheit fiel mir erstmalig auf, dass die Tische alle einzeln standen und dass an jedem der Tische zwei Leute sitzen konnten, fast wie in der Schule, nur dass hier die beiden Stühle einander gegenüber standen.
Vor mir ließ sich ein gestresst wirkender Mittvierziger nieder. Auf seiner Stirnglatze perlte der Schweiß, den er mit einem Tempo abtupfte. »Hallo, ich bin der Heiko«, sagte er.
»Wir warten alle auf mein Kommando«, sagte Barbara. Sie hatte eine Stoppuhr gezückt und blickte aufmunternd in die Runde.
»Eins, zwei … go !«, rief sie.
Ich starrte über Heikos Schulter nach vorn. Keine Töpfe, keine Staubsauger. Nur Barbara, die in der gedämpften Saalbeleuchtung mit der verheißungsvoll erhobenen Stoppuhr aussah wie die Mutter aller guten Feen, die uns alle von Fröschen in Prinzen und Prinzessinnen verwandeln wollte. Aha, jetzt begriff ich endlich, was hier lief! Doch es war zu spät, ich saß schon in der Falle.
»Hallo, ich bin der Heiko«, wiederholte Heiko. Er tupfte immer noch. »Ich bin achtundvierzig Jahre alt und lebe in Scheidung. Meine Hobbys sind Skat und mit dem Hund Gassi gehen. Leider hat meine Frau noch den Hund. Aber mein Anwalt wird für mich einen Herausgabeanspruch geltend machen.« Erwartungsvoll blickte er mich an.
»Ja, ein guter Anwalt ist viel wert«, sagte ich höflich. »Oder eine Anwältin.«
»Sind Sie Anwältin?«
»Nein.«
»Ach. Ich bin aus der IT-Branche. Ich habe keine Kinder und bin achtundvierzig Jahre alt.«
»Hm«, machte ich und blickte zum Nebentisch. Gegenüber von meiner Mutter saß ein Individuum, das mindestens einen Kopf kleiner war als sie, sogar im Sitzen. Bei näherem Hinsehen entpuppte es sich als ein Mann in den Fünfzigern, mit Elvis-artiger Haartolle und buntem Hemd. »Manche Leute sagen, ich sei ein Freak«, hörte ich ihn mit halbem Ohr sagen.
»Wirklich kreative Menschen müssen sich oft solche Beleidigungen anhören«, erwiderte meine Mutter tröstend. »Zu mir sagte mal jemand, ich sei eine miserable Köchin. Dabei müssten Sie mal meine Steaks probieren!«
»Ich wette, Ihre Steaks sind fantastisch«, sagte Elvis. »Ich würde die unheimlich gerne probieren. Leider bin ich Vegetarier.«
»Ich habe überhaupt nichts gegen Minderheiten«, sagte meine Mutter großzügig. »Mit meinen sechsundfünfzig Lenzen bin ich über Vorurteile längst hinausgewachsen.«
»Mein Hund heißt Susi«, erzählte mir Heiko. »So wie bei Susi und Strolch. Diese Hundenamen habe ich schon als Kind geliebt.«
»Wirklich?«, fragte ich zerstreut.
»Sie sind tatsächlich schon sechsundfünfzig?«, staunte der Elvis am Tisch meiner Mutter. »Das sieht man Ihnen aber wirklich nicht an!«
»Meine Frau hat Susi nach der Trennung einfach unbenannt«, teilte mir Heiko düster mit.
»Ach«, sagte ich.
»Ja. In Doreen. Was ist das für ein bescheuerter Name?«
»Genau«, sagte ich.
»Und was machen Sie so als Hobby?«, fragte Heiko.
»Äh … Origami.«
»Sind das nicht diese getrockneten Kräuter, die man auf die Pizza streut?«
»Genau«, sagte ich.
»Die Zeit ist um!«,
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