Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
widersprach meine Mutter. »Oder wenn, dann höchstens noch für eine Stunde. Danach braucht Annabell es nämlich selbst.«
Überrascht blickte ich sie an. »Ich hatte nicht vor, noch wegzugehen. Musst du irgendwo hingefahren werden? Das kann auch Sophie übernehmen.«
Meine Mutter hatte ihre Ankündigung wahrgemacht und sich als Mitfahrer eintragen lassen, Sophie war längst zu ihrem persönlichen Chauffeur avanciert und machte ihre Sache tadellos. Jedenfalls hatte ich bisher nichts Negatives gehört.
»Nein, sie kann mich nicht fahren. Das musst du machen. Weil du mitkommen sollst. Ich habe nämlich was Besonderes mit dir vor.«
Sofort wollte ich wissen, worum es ging, doch meine Mutter gab sich geheimnisvoll und verriet nichts. »Es ist eine Überraschung«, sagte sie. »Das habe ich mir als Geschenk zu deinem Geburtstag überlegt. Nachträglich.«
»Was ist das hier?«, fragte ich drei Stunden später.
»Ein Lokal«, sagte meine Mutter. »Das siehst du doch.«
Das sah ich allerdings. Wir befanden uns in einem ziemlich großen, ziemlich geschmacklos eingerichteten Restaurant mit Siebzigerjahre-Charme. Irgendwer hatte seit Jahrzehnten vergessen, die Gardinen im bräunlichen Häkellook abzuhängen oder die verräucherten Polsterbänke durch neue zu ersetzen. Vor ungefähr fünfundzwanzig Jahren hatte es vermutlich noch ganz nett ausgesehen.
»Ich habe eigentlich keinen Hunger«, sagte ich. »Außerdem haben wir schon zu Abend gegessen.«
»Wir essen doch nicht«, sagte meine Mutter. Sie zog mich weiter, in ein Hinterzimmer, eine Art großer Versammlungsraum, wo sonst vermutlich der örtliche Karnickelzüchterverein oder Kegelclubs tagten. Hier hatte sich bereits eine Reihe von Leuten versammelt. Sie machten allesamt einen peinlich berührten Eindruck. Einige starrten auf ihre Füße, andere aus dem Fenster. Manche standen bemüht locker da, an die Wand gelehnt oder mit dem Hintern auf einer Tischkante. Es war ein bunt gemischtes Völkchen, etwa drei Dutzend Männer und Frauen, die nach meiner Schätzung alle zwischen Mitte vierzig und Mitte sechzig waren.
Ich roch mindestens zehn verschiedene Sorten Parfüm und Rasierwasser, als meine Mutter mich in eine freie Ecke drängte und dort mit mir Stellung bezog. »Es geht gleich los«, flüsterte sie und blickte sich erwartungsvoll um.
»Was denn?«, fragte ich beunruhigt. Ich fühlte mich stark overdressed, wofür auch immer. Alle anderen waren angezogen, als wollten sie auf eine Party von guten Freunden gehen. Nur ich war im Theaterlook. Auf Anregung meiner Mutter (»Mach dich ruhig ein bisschen fein!«) hatte ich das kleine Schwarze angezogen, das zu allen festlichen Gelegenheiten gut passte, ein Etuikleid aus glänzendem dunklem Seidensatin, dazu ein Samtblazer und die neuen italienischen Pumps. Keine Ahnung, wieso ich angenommen hatte, dass sie Theaterkarten besorgt hatte. Vielleicht, weil sie auf meine Frage, ob wir zu irgendeiner Vorstellung gehen würden, sofort genickt hatte. Und weil ich geglaubt hatte, dass ein Theaterbesuch als nachträgliches Geburtstagsgeschenk eine wirklich nette Idee sei. Nach Theater sah es hier allerdings nicht aus. Auch nicht nach einer Party, von der gedämpften Beleuchtung einmal abgesehen.
Eine Frau betrat den Raum. Sie sah aus wie Barbies Mutter, mit blonden Ringellocken, vollem Busen und rosa Kostüm. Sie breitete die Arme aus, als wollte sie alle Anwesenden an ihr Herz drücken und sagte dazu mit kleinmädchenhafter Stimme: »Hallo und guten Abend, liebe Freunde! Für die, die mich noch nicht kennen: Ich bin Barbara!«
Es klang überraschend laut, und erst beim zweiten Hinschauen bemerkte ich, dass sie ein Headset mit Mikro trug, das sie geschickt unter ihren toupierten Locken versteckt hatte.
»Die meisten von euch waren schon mal dabei«, sagte sie. »Und die übrigen kennen ja das Prozedere aus dem Anmeldeformular. Deshalb halte ich mich gar nicht groß mit Erklärungen auf, sondern verteile gleich die Karten.«
Die blonde Barbara holte stapelweise Kärtchen aus ihrer Handtasche und drückte reihum allen Leuten ein Päckchen davon in die Hand. Ich selbst bekam auch welche, dazu einen Kuli. Auf meinen Kärtchen stand die Nummer vier.
»Und jetzt die Tischnummern, passend zu den Personenkarten«, sagte Barbara. Sie verteilte weitere Karten auf den Tischen und gab anschließend Schildchen aus, die man sich ans Revers klemmen konnte. Meine Mutter befestigte die Nummer vier an meinem Ausschnitt und prüfte, ob der
Weitere Kostenlose Bücher