Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
kosten. Ohne Teile.«
Ich hatte den Schreck kaum verdaut, als sie mir die nächste Hiobsbotschaft zuteilwerden ließ. »Timo hatte heute Nachmittag eine Art Nervenzusammenbruch. Er hat sich zuerst übergeben, dann wollte er, dass ich die Schultüte aus seinem Zimmer entferne und sie im Keller verwahre. Oder sie an ein anderes, armes Kind verschenke, möglichst in Afrika. Als ich ihn fragte, was er gegen die Schultüte habe, meinte er, er wolle für immer ein Kindergartenkind bleiben und brauche daher keine Schultüte.«
»Oh«, sagte ich betroffen. Alle meine Befürchtungen schienen sich zu bewahrheiten. Seine häufigen Anfälle von Übelkeit hingen tatsächlich mit der bevorstehenden Einschulung zusammen, und die neue Schultüte erinnerte ihn ständig daran. Mir persönlich hätte allerdings der Anblick der Schultüte auch Bauchschmerzen bereitet. Das Teil war in leuchtendem Türkis gehalten, mit auffällig abgesetztem Silberflitter am Rand und an der Spitze; Benedikt hatte spontan erklärt, die Tüte sehe schwul aus. Leider hatte er das im Beisein von Timo getan, der seither felsenfest davon überzeugt war, dass schwul etwas Unangenehmes war, weil niemand ihm verraten wollte, worum es sich dabei handelte. »Ich will keine schwule Tüte«, hatte er entschieden erklärt.
»Hauptsache, du bist nicht selber schwul«, hatte Benedikt gesagt.
»Heutzutage ist das völlig akzeptabel«, hatte meine Mutter widersprochen.
»Aber in der Schule bekennt sich trotzdem kaum jemand zu dieser Neigung«, hatte Helga angemerkt.
Kein Wunder, dass Timo wegen der Schultüte voreingenommen war.
Es klingelte, und meine Mutter kam aus dem Wohnzimmer in die Diele geflitzt. »Mein Besuch ist da!«
Das war also der heiße Lover, den sie heute mit ihren Kochkünsten beglücken wollte. Ich fiel fast vom Glauben ab, als ich ihn hereinkommen sah – es war Professor Dr. E. Habermann!
Der Schock stand mir wohl im Gesicht geschrieben, denn der Professor musterte mich peinlich berührt.
»Ich wusste nicht, dass Sie auch da sein würden«, sagte er, nachdem die allgemeine Begrüßung vorbei war. Es klang betreten.
»Na ja, ich wohne hier«, sagte ich. »Es ist mein Haus.«
»Hatte ich das nicht erwähnt?«, fragte meine Mutter. Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin ganz sicher, dass ich es dir erzählt hatte, Erich.« Sie lachte perlend. »Wird da etwa jemand schon vergesslich?« Sie wuselte um ihn herum, platzierte ihn auf dem Sofa und servierte ihm einen Cocktail, während er sich offenbar ziemlich fehl am Platze fühlte. »Ich kümmere mich dann mal um die Steaks«, verkündete sie verheißungsvoll »Die wirst du ganz bestimmt nicht so schnell vergessen!«
Ich entschuldigte mich, weil ich aufbrechen wollte; Berit hatte eine Kleinigkeit zum Essen vorbereitet und mir eingeschärft, dass ich pünktlich kommen sollte. In der Diele fing mich Helga ab. »Sie hat ihm weisgemacht, dass dies hier so eine Art Liebesnest ist«, zischte sie mir zu. »Von Familie war überhaupt nicht die Rede! Das traf ihn völlig unvorbereitet!« Ihre Stimme bebte vor Entrüstung. »Stell dir vor, der Mann ist verheiratet !«
Aus der Küche roch es nach überhitztem Fett. »Mein Gott«, sagte Helga. »Das wird ein Debakel!« Sie hastete in die Küche.
Benedikt kam die Kellertreppe hoch, zusammen mit seiner neuen Freundin. Ich hatte sie noch nie gesehen. Er verabschiedete sie an der Haustür mit einem leidenschaftlichen Zungenkuss. Ich sah genau, wie dem Mädchen die Knie wackelten. Sie stand förmlich in Flammen.
In diesem Augenblick Helga zurück in die Diele und holte den Feuerlöscher aus der Besenkammer. »Nur für alle Fälle«, sagte sie aufgelöst. »Lieselotte will die Steaks partout allein zubereiten.« Mit heroischer Miene setzte sie hinzu: »Ich denke darüber nach, ganz zu euch zu ziehen, Annabell. Wer soll hier sonst für Ordnung sorgen und deine Mutter im Auge behalten?«
Vor dem Haus stand Benedikt, er schaute ziemlich ratlos drein. »Spike ist abgehauen«, teilte er mir mit.
»Was meinst du mit abgehauen ?«
»Er ist Sandra nachgelaufen. Sie war mit dem Rad hier, und als sie losgefahren ist, sprang er hinterher. Sie hat es nicht bemerkt. Ich hab noch laut gerufen, doch da war sie schon zu weit weg. Und Spike auch.«
Ich massierte mir die Schläfen. »Hast du vielleicht ihre Handynummer, oder kennt ihr euch dafür nicht gut genug?«
»Sie ist meine Freundin«, sagte er gekränkt.
»Was genau meinst du mit Freundin ?«
»Na, Freundin im Sinne
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