Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)
konnten, versuchen sie, den Jeeps nun jeden Fluchtweg abzuschneiden. Hier muss es von Patrioten nur so wimmeln. Sie werden mich buchstäblich lynchen für das, was ich getan habe. Tess und ich müssen den Tunnel erreichen, bevor sie uns finden.
Ich renne auf June zu, die gerade den Jeep des Elektors erreicht. Drinnen sitzt ein Mann mit dunklem, welligem Haar und sie schreit ihm etwas zu und presst ihre Hände an die Scheiben. Irgendwo in der Nähe ertönt eine weitere Explosion und June fällt auf die Knie. Ich werfe mich über sie, als Staub und Trümmerteile aus allen Richtungen auf uns herabregnen. Ein Zementblock trifft mich an der Schulter und ich krümme mich vor Schmerz. Die Patrioten versuchen nun definitiv, die verlorene Zeit wieder wettzumachen, doch die Verzögerung ist sie bereits teuer zu stehen gekommen. Wenn sie nicht mehr weiterwissen, werden sie auf das Videomaterial vom Tod des Elektors pfeifen und stattdessen den Jeep in die Luft jagen, so viel ist klar. Immer mehr Republiksoldaten strömen auf die Straße. Sie müssen mich mittlerweile erkannt haben. Ich hoffe, Tess ist sicher in unserem Versteck.
»June!« Sie sieht mich an, verwirrt und benommen, doch dann erkennt sie mich. Keine Zeit für Wiedersehensfreude.
Ein Geschoss zischt über uns hinweg. Ich ducke mich wieder schützend über June; ein Soldat in unserer Nähe bekommt eine Kugel ins Bein. Bitte, bei allem, was … Bitte lass es Tess bis in den Tunnel schaffen.
Ich wirbele herum und sehe dem Elektor hinter der Autoscheibe direkt in die weit aufgerissenen Augen. Soso, das ist also der Typ, der June geküsst hat – er ist groß und gut aussehend und reich und er wird das Regiment seines Vaters unverändert weiterführen. Er ist der junge Herrscher, der für all das steht, was die Republik ist: für den Krieg mit den Kolonien, der zu Edens Krankheit geführt hat, für die Gesetze, die meine Familie ins Armenviertel verbannt und sie schließlich das Leben gekostet haben, die Gesetze, die mich zum Tode verurteilt haben, weil ich, als ich zehn Jahre alt war, irgendeinen dummen Test nicht bestanden habe. Dieser Typ ist die Republik. Ich sollte ihn hier und jetzt töten.
Doch dann denke ich an June. Wenn June einen Grund weiß, aus dem wir ihn vor den Patrioten beschützen sollten, und dafür sogar bereit ist, ihr Leben – und meins gleich dazu – aufs Spiel zu setzen, dann muss ich ihr vertrauen. Weigere ich mich, würde sie wahrscheinlich für immer mit mir brechen. Könnte ich damit leben? Der Gedanke lässt mich bis in die Knochen erschaudern.
Ich deute die Straße hinunter in Richtung der Explosion und dann tue ich etwas, was ich niemals für möglich gehalten hätte. Ich schreie den Soldaten so laut wie möglich zu: »Schirmt die Jeeps ab! Blockiert die Straße! Beschützt den Elektor!« Und dann, als weitere Soldaten den Jeep des Elektors erreichen: »Holt den Elektor aus dem Wagen! Bringt ihn weg von hier! Sie werden den Jeep in die Luft sprengen!«
June reißt mich zu sich hinunter, als eine weitere Kugel dicht neben uns ins Straßenpflaster schlägt.
»Komm mit!«, rufe ich. Sie folgt mir.
Hinter uns sind Dutzende Republiksoldaten aufgetaucht. Wir erhaschen einen kurzen Blick auf den Elektor, als er aus seinem Jeep steigt und, von seinen Wachen abgeschirmt, davoneilt. Geschosse sirren durch die Luft. Wurde der Elektor gerade von einem in die Brust getroffen? Nein, bloß in den Oberarm. Dann verschwindet er hinter einem Meer aus Soldaten.
Er ist gerettet. Er wird es schaffen. Der Gedanke verschlägt mir fast den Atem – ich weiß nicht, ob ich froh oder wütend darüber sein soll. Nach all den Vorbereitungen ist die Ermordung des Elektors gescheitert, und zwar durch Junes und meine Schuld.
Was habe ich getan?
»Das ist Day!«, ruft jemand. »Er ist am Leben!«
Doch ich wage es nicht, mich umzudrehen. Ich drücke Junes Hand fester und wir rennen zwischen dem Rauch und den noch immer fliegenden Trümmerteilen hindurch.
Dann laufen wir dem ersten Patrioten in die Arme. Baxter.
Eine Sekunde ist er wie erstarrt, dann aber packt er June beim Arm. »Du!«, zischt er. Doch sie ist zu schnell für ihn.
Bevor ich die Pistole an meinem Gürtel ziehen kann, hat sie sich schon aus seinem Griff befreit. Er grapscht abermals nach uns, doch da versetzt ihm jemand anderes einen Schlag, der ihn mit dem Gesicht voran aufs Pflaster klatschen lässt. Ich blicke direkt in Kaedes lodernde Augen.
Sie wedelt hektisch mit der Hand. »Bringt
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