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Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)

Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)

Titel: Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Lu
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An den Vorfall kann ich mich noch gut erinnern. Ich war gerade in meinem ersten Studienjahr, beim Kampftraining. Die Schaumgewehre hatten täuschend echt ausgesehen. Als die Studenten sich auf Kommando bückten, um die vermeintlich schweren Waffen aufzuheben, landete die Hälfte von ihnen, überrascht von der Leichtigkeit der Attrappen, auf dem Hosenboden. Die Erinnerung entlockt mir ein aufrichtiges Lachen. »Das war genial. Der Trainer war echt sauer!«
    »Na ja, jeder muss sich an der Uni wenigstens ein Mal Ärger einhandeln, oder?« Anden grinst und trommelt mit den Fingern an sein Champagnerglas. »Aber Sie scheinen mit Abstand die meiste Unruhe gestiftet zu haben. Haben Sie nicht sogar einmal dafür gesorgt, dass ein gesamtes Gebäude evakuiert wurde?«
    »Ja. Im Kurs Geschichte der Republik 302.« Meine Hand will vor Verlegenheit reflexartig zu meinem Hals hinaufwandern, doch die Handschellen verhindern es. »Ein Typ aus dem Jahr über mir hatte mit mir gewettet, dass ich es nicht schaffen würde, mit seinem Übungsgewehr den Feueralarmknopf zu treffen.«
    »Ah, ja. Wie ich sehe, haben Sie schon immer die richtigen Entscheidungen getroffen.«
    »Ich war damals noch jung. Aber trotzdem war es ziemlich kindisch, ich geb’s zu«, erwidere ich.
    »Das sehe ich anders. Alles in allem würde ich sagen, dass Sie Ihrem Alter schon immer weit voraus waren.« Er lächelt und meine Wangen werden wieder rosa. »Sie strahlen eine Selbstsicherheit aus, als wären Sie weit älter als fünfzehn. Ich war sehr froh, als wir uns vor Kurzem bei dem Ball endlich persönlich kennengelernt haben.«
    Sitze ich wirklich an diesem Tisch beim Abendessen mit unserem ehrwürdigen Elektor und schwelge mit ihm in Erinnerungen an die gute alte Uni-Zeit? Das ist ja geradezu surreal. Ich bin verblüfft, wie leicht es mir fällt, mit ihm zu plaudern, ein Gespräch über ganz alltägliche Dinge in so komplizierten Zeiten. Und endlich einmal muss ich keine Angst haben, irgendjemandem durch eine unbeabsichtigt herablassende Bemerkung auf die Füße zu treten.
    Dann fällt mir wieder ein, warum ich eigentlich hier bin. Das Essen in meinem Mund scheint sich in Asche zu verwandeln. Ich tue das hier alles nur für Day . Ärger erfüllt mich, obwohl ich weiß, dass es falsch ist, so zu empfinden. Oder doch nicht? Ich frage mich, ob ich wirklich bereit bin, ihm zuliebe jemanden zu töten.
    Ein Soldat lugt durch den Eingang zu uns in den Saal. Er salutiert vor Anden und hüstelt dann verlegen, als ihm klar wird, dass er den Elektor mitten in einem Gespräch unterbrochen hat. Anden nickt ihm freundlich zu und winkt ihn herein.
    »Sir, Senator Baruse Kamion möchte Sie sprechen.«
    »Teilen Sie dem Senator mit, dass ich beschäftigt bin«, antwortet Anden. »Ich werde mich nach dem Dinner bei ihm melden.«
    »Es tut mir leid, aber er hat darauf bestanden, Sie auf der Stelle zu sprechen. Es geht um die, äh …« Der Soldat wirft mir einen unsicheren Blick zu und eilt dann an Andens Seite, um ihm den Rest ins Ohr zu flüstern. Ich schnappe trotzdem ein paar Wortfetzen auf. »Die Stadien. Ich soll … Nachricht … Dinner sofort beenden.«
    Anden hebt eine Augenbraue. »Das hat er gesagt? Nun. Ich entscheide immer noch selbst, wann ich mein Dinner beende. Überbringen Sie Senator Kamion dann doch bitte auch eine Nachricht von mir. Bestellen Sie ihm, dass der nächste Senator, der mich dermaßen respektlos behandelt, mit Konsequenzen zu rechnen hat.«
    Der Soldat salutiert eifrig, die Brust stolz geschwellt ob der Aussicht, dem Senator eine solche Botschaft übermitteln zu dürfen. »Jawohl, Sir. Sofort.«
    »Wie ist Ihr Name, Soldat?«, fragt Anden, bevor der Mann abtreten kann.
    »Lieutenant Felipe Garza, Sir.«
    Anden lächelt. »Vielen Dank, Lieutenant Garza«, sagt er dann. »Diesen Gefallen werde ich gut in Erinnerung behalten.«
    Der Soldat bemüht sich um ein neutrales Gesicht, doch ich sehe den Stolz in seinen Augen und das Lächeln, das direkt unter der Oberfläche zu lauern scheint. Er macht einen kleinen Diener. »Es ist mir eine Ehre. Danke, Sir.« Dann verlässt er den Saal.
    Ich habe das Gespräch mit Interesse verfolgt. In einem Punkt scheint Razor recht zu haben: Das Verhältnis zwischen dem Senat und dem neuen Elektor ist definitiv angespannt. Aber Anden weiß, was er tut. Nach nicht einmal einer Woche im Amt verhält er sich genau richtig, indem er versucht, sich die Loyalität des Militärs zu sichern. Ich frage mich, was er sonst noch

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