Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)
stößt einen erstickten Schrei aus und lässt sich auf Hände und Knie fallen. Rote Locken lösen sich aus dem tadellosen Haarknoten an ihrem Hinterkopf und ein paar Strähnen fallen ihr ins Gesicht. Ich bemerke, wie zart und gepflegt ihre Hände sind – definitiv ein Mädchen aus der Oberschicht. »Es tut mir so leid, ehrwürdiger Elektor«, jammert sie. »Es tut mir so leid. Ich lasse sofort die Tischdecke wechseln und bringe Ihnen ein neues Glas.«
Ich weiß nicht, was ich von Anden erwartet hatte. Dass er sie beschimpft? Ihr eine Verwarnung erteilt? Oder zumindest die Stirn runzelt? Zu meiner Überraschung jedoch schiebt er seinen Stuhl zurück, steht auf und streckt dem Mädchen die Hand entgegen. Sie hockt da wie erstarrt. Ihre braunen Augen weiten sich und ihre Lippe beginnt zu zittern. In einer einzigen fließenden Bewegung beugt sich Anden zu ihr hinunter, nimmt ihre Hände in seine und zieht sie auf die Füße.
»Das war doch nur ein Glas Champagner«, sagt er schulterzuckend. »Passen Sie auf, dass Sie sich nicht schneiden.« Er gibt einem der Soldaten in der Nähe der Tür ein Zeichen. »Handfeger und Kehrblech, bitte. Vielen Dank.«
Der Soldat nickt hastig. »Sofort, Elektor.«
Während das Mädchen davoneilt, um ein neues Glas zu holen, und ein weiterer Bediensteter sorgfältig die Scherben auffegt, lässt Anden sich zurück auf seinen Stuhl sinken. Mit vollendeter Grazie greift er dann zu Messer und Gabel und schneidet sich ein kleines Stück Schweinefleisch ab. »Also, Agent Iparis. Warum wollten Sie mich denn persönlich sprechen? Und was ist an dem Abend von Days Hinrichtung wirklich passiert?«
Ich folge seinem Beispiel, greife nach meinem eigenen Besteck und fange ebenfalls an, mein Fleisch zu verspeisen. Die Fesseln an meinen Handgelenken sind gerade so lang, dass ich essen kann, so als hätte sich irgendjemand tatsächlich die Mühe gemacht, sie auszumessen. Ich schiebe meine Verblüffung über den Champagner-Zwischenfall beiseite und beginne, die Geschichte zu erzählen, die sich Razor für mich ausgedacht hat. »Ich habe Day geholfen, vor seiner Hinrichtung zu fliehen, und wurde dabei von den Patrioten unterstützt. Aber als alles vorbei war, haben sie sich geweigert, mich gehen zu lassen. Ich dachte gerade, ich wäre ihnen endlich entkommen, als Ihre Soldaten mich verhaftet haben.«
Anden blinzelt konzentriert. Ich frage mich, ob er mir irgendetwas von dem glaubt, was ich ihm erzähle.
»Sie haben also die letzten zwei Wochen bei den Patrioten verbracht?«, fragt er, nachdem er einen Bissen Fleisch gekaut hat. Das Essen ist vorzüglich; das Fleisch ist so zart, dass es mir praktisch auf der Zunge zergeht.
»Ja.«
»Verstehe.« In seiner Stimme liegt Misstrauen. Er tupft sich den Mund mit seiner Serviette ab, legt sein Silberbesteck hin und lehnt sich zurück. »Soso. Day ist also am Leben, oder war es zumindest, als Sie ihn zuletzt gesehen haben? Arbeitet er auch für die Patrioten?«
»Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, war es so, ja. Wie es inzwischen aussieht, weiß ich nicht.«
»Warum arbeitet er jetzt mit ihnen zusammen, obwohl er sich in der Vergangenheit doch immer geweigert hat?«
Ich hebe kurz die Schultern, um meine Unwissenheit zu unterstreichen. »Er braucht Hilfe, um seinen Bruder zu finden, und er hat Schulden bei den Patrioten, weil sie ihm die Behandlung seines Beins bezahlt haben. Er hatte eine entzündete Schusswunde nach … all dem.«
Anden trinkt schweigend einen Schluck Champagner. »Warum haben Sie ihm zur Flucht verholfen?«
Ich lasse meine Handgelenke kreisen, damit die Handschellen keine Druckstellen in meiner Haut hinterlassen. Die Kettenglieder geben ein vernehmliches Rasseln von sich. »Weil er nicht der Mörder meines Bruders ist.«
»Captain Metias Iparis.« Als er den vollen Namen meines Bruders ausspricht, durchströmt mich eine Welle von Schmerz. Ob er weiß, wie mein Bruder wirklich gestorben ist? »Mein Beileid für Ihren Verlust.« Anden neigt ein wenig den Kopf, ein so unerwartetes Zeichen von Respekt, dass ich einen Kloß im Hals spüre.
»Ich erinnere mich, von Ihrem Bruder gelesen zu haben, als ich noch jünger war«, fährt er dann fort. »In der Grundschule. Davon, wie gut er beim Großen Test abgeschnitten hat, und besonders von seinem Talent für alles, was mit Computern zu tun hat.«
Ich spieße eine Erdbeere auf und kaue nachdenklich darauf herum, dann schlucke ich sie hinunter. »Ich wusste nicht, dass mein Bruder einen
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