Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)
Soldaten aus Ihrer persönlichen Leibwache sollen den Anschlag verüben.«
Anden wird blass. »Meine Wachen sind sorgfältig für mich ausgewählt worden. Sehr sorgfältig.«
»Und wer genau hat sie ausgewählt?« Ich verschränke die Arme. Mein Haar fällt mir über die Schulter und aus dem Augenwinkel sehe ich die Perlen funkeln. »Es spielt keine Rolle, ob Sie mir glauben oder nicht. Stellen Sie Ermittlungen an. Entweder habe ich recht, dann bleiben Sie am Leben, oder ich habe nicht recht und dann bin so oder so ich tot, nicht Sie.«
Zu meiner Überraschung steht Anden auf, strafft die Schultern und kommt an mein Ende des Tischs. Er setzt sich auf einen der Stühle neben mir und rückt dicht an mich heran. Ich blinzele, als er mir prüfend ins Gesicht blickt.
»June.« Seine Stimme ist leise, kaum mehr als ein Flüstern. »Ich möchte Ihnen vertrauen … und ich möchte, dass Sie mir vertrauen.«
Er ahnt, dass ich ihm etwas verschweige . Er hat mein Spiel durchschaut und will, dass ich es weiß.
Anden lehnt sich gegen den Tisch und vergräbt seine Hände in den Hosentaschen. »Nachdem mein Vater gestorben ist«, beginnt er, jedes seiner Worte ruhig und bedächtig, als bewege er sich auf gefährlichem Terrain, »war ich vollkommen allein. Ich habe an seinem Bett gesessen, als er gegangen ist. Und dafür bin ich dankbar – bei meiner Mutter hatte ich diese Chance nicht. Ich weiß, wie es ist, June, wenn man plötzlich ganz allein auf der Welt ist.«
Meine Kehle zieht sich schmerzhaft zusammen. Gewinne sein Vertrauen – das ist meine Rolle, der einzige Grund, aus dem ich hier bin. »Das tut mir leid«, flüstere ich. »Und das mit Ihrer Mutter auch.«
Anden senkt den Kopf und nimmt mein Beileid entgegen. »Meine Mutter war die Princeps des Senats. Mein Vater hat mein Leben lang nicht ein einziges Mal von ihr gesprochen … aber ich bin froh, dass sie jetzt wieder vereint sind.«
Ich habe Gerüchte über die letzte Princeps gehört. Sie soll direkt nach Andens Geburt an einer Autoimmunkrankheit gestorben sein. Niemand außer dem Elektor selbst kann einen neuen Senatsvorsitzenden bestimmen – darum war dieses Amt die letzten zwanzig Jahre, seit dem Tod von Andens Mutter, unbesetzt. Ich versuche, den Gedanken an das behagliche Gespräch über unsere Zeit an der Drake zu verdrängen, aber es ist schwieriger, als ich erwartet hatte. Denk an Day. Ich konzentriere mich darauf, wie begeistert er von dem Plan der Patrioten war, von der Vorstellung einer neuen, veränderten Republik. »Ich bin froh, dass Ihre Eltern ihren Frieden gefunden haben. Ich weiß, wie es sich anfühlt, geliebte Menschen zu verlieren.«
Anden presst sich zwei Finger auf die Lippen und denkt über meine Worte nach. Sein Kiefer wirkt verspannt, als fühle er sich unbehaglich.
Er spielt seine Rolle gut, aber in Wirklichkeit ist er noch immer nicht viel mehr als ein Junge, wird mir klar. Sein Vater war ein Furcht einflößender Mann, aber Anden? Er ist nicht stark genug, um dieses Land allein zusammenzuhalten . Plötzlich muss ich an die ersten Abende nach Metias’ Tod denken, daran, wie ich bis zum Morgengrauen geweint habe, die ganze Zeit das leblose Gesicht meines Bruders vor Augen. Ob Anden auch schlaflose Nächte hat? Wie muss es sich anfühlen, einen Vater zu verlieren und nicht offen um ihn trauern zu dürfen, wie bösartig dieser Vater auch gewesen sein mag? Ob Anden ihn geliebt hat?
Ich warte ab, das Essen auf meinem Teller lange vergessen, während Anden mich weiter ansieht. Nach einer Weile, die mir wie Stunden vorkommt, senkt er schließlich die Hände und seufzt.
»Es war kein Geheimnis, dass er lange krank war. Wenn man jederzeit damit rechnet, dass ein geliebter Mensch stirbt … über Jahre …« An dieser Stelle zuckt er merklich zusammen und gewährt mir einen Blick auf blanken Schmerz. »Na ja, ich glaube jedenfalls, das ist ein ganz anderes Gefühl, als wenn jemand … unerwartet stirbt.« Bei diesen letzten Worten blickt er zu mir hoch.
Ich bin nicht sicher, ob er damit auf meine Eltern oder auf Metias anspielt, vielleicht auch auf alle drei, doch etwas an seinen Worten lässt jeden Zweifel in meinem Kopf verschwinden. Er versucht mir klarzumachen, dass er weiß, was mit meiner Familie geschehen ist. Und dass er es bedauert.
»Ich weiß, Sie haben ebenfalls Ihre Erfahrungen mit … Unterstellungen. Mir wird oft unterstellt, ich hätte meinen Vater vergiftet, um an sein Amt zu gelangen.«
Es ist, als versuchte er,
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