Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)
wiederholt damit das, was auch Kaede zu mir gesagt hat, kurz nachdem wir den Bunker erreicht hatten. »Der ist nur ein bisschen launisch.«
Ach was. »Wenn er dir Ärger macht, lass es mich wissen«, murmele ich.
Wieder zuckt Tess mit den Schultern. »Keine Sorge, Day. Ich komme schon mit ihm klar.«
Plötzlich komme ich mir ein bisschen albern vor, dass ich Tess wie ein edler Ritter meine Hilfe anbiete, obwohl sie doch vermutlich längst Dutzende von neuen Freunden hat, die ihr nur zu bereitwillig zur Seite stehen würden. Ganz abgesehen davon, dass sie auch sehr gut allein zurechtkommt.
Als wir die Zentrale erreichen, hat sich eine Gruppe von Leuten vor einem der größeren Flachbildschirme an der Wand versammelt, auf dem die Aufnahmen einer Sicherheitskamera zu sehen sind. Razor steht mit lässig verschränkten Armen ganz vorn, flankiert von Pascao und Kaede. Als sie mich sehen, winken sie mich zu sich herüber.
»Day«, sagt Razor und klopft mir auf die Schulter. Kaede nickt mir kurz zu. »Gut, dich hier zu sehen. Alles in Ordnung mit dir? Ich habe gehört, du hattest heute Morgen ein kleines Tief.«
Sein besorgtes Interesse ist tröstlich – es erinnert mich an die Art, wie mein Vater immer mit mir geredet hat. »Mir geht’s gut«, antworte ich. »Bin nur ein bisschen müde von der Reise.«
»Verständlich. Du hast ja auch einen anstrengenden Flug hinter dir.« Er deutet auf den Bildschirm. »Unsere Hacker haben uns Videomaterial von June besorgt. Es gibt keinen Ton, aber wir können dir erklären, worum es geht. Ich dachte, du würdest das Video vielleicht trotzdem gern sehen.«
Meine Augen kleben regelrecht am Bildschirm. Die Bilder sind scharf, mit klaren Farben, so als befänden wir uns mit der Kamera in der Ecke des Raums, der zu sehen ist. Ich erkenne einen prunkvollen Bankettsaal mit einer erlesen gedeckten Tafel und Soldaten, die entlang der Wände Aufstellung genommen haben. Der junge Elektor sitzt an einem Ende des Tischs. June, in einem atemberaubenden Kleid, dessen Anblick mein Herz schneller schlagen lässt, am anderen. Wenn ich in die Fänge der Republik geraten wäre, hätten sie mich zu Brei geschlagen und in eine dreckige Zelle geworfen. Junes Arrest dagegen wirkt mehr wie ein Luxusurlaub. Ich bin erleichtert und zur gleichen Zeit einen Tick neidisch. Leute von Junes Abstammung werden selbst nachdem sie die Republik verraten haben, noch gut behandelt, während meinesgleichen leiden muss.
Alle Blicke liegen auf mir, während ich June beobachte. »Schön zu wissen, dass es ihr gut geht«, sage ich, ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden. Schon jetzt schäme ich mich für meine missgünstigen Gedanken.
»Clever von ihr, ihn in ein Gespräch über ihre Studienzeit an der Drake zu verwickeln«, fasst Razor die Tonspur des Videos zusammen. »Sie hat unsere Geschichte abgeliefert. Als Nächstes werden sie sie vermutlich einem Lügendetektortest unterziehen, und wenn sie ihn besteht, haben wir freie Bahn. Dann dürfte der nächste Teil unseres Plans morgen Abend glattlaufen.«
Wenn sie besteht.
Sie kommen sich also langsam näher. »Gut«, sage ich und achte darauf, dass meine Miene nichts von dem, was in mir vorgeht, preisgibt. Doch während das Video weiterläuft und ich sehe, wie Anden die Soldaten aus dem Saal schickt, spüre ich einen Kloß in meiner Kehle. Dieser Typ ist der Inbegriff von Kultiviertheit, Macht und Autorität. Er lehnt sich über den Tisch und sagt etwas zu June, woraufhin sie beide lachen und Champagner trinken. Sofort sehe ich sie als Paar vor mir. Sie würden gut zueinander passen.
»Sie macht das echt prima«, sagt Tess und streicht sich die Haare hinter die Ohren. »Der Elektor ist ja völlig hin und weg von ihr.«
Ich will protestieren, doch jetzt schaltet sich auch Pascao fröhlich ein. »Tess hat recht – guckt nur mal, wie seine Augen leuchten. Der Mann ist verloren, das sag ich euch. Der ist ihr jetzt schon mit Haut und Haaren verfallen. In ein paar Tagen dürfte sie ihn endgültig am Haken haben.«
Razor nickt, doch seine Begeisterung ist verhaltener. »Möglich. Aber wir müssen darauf achten, dass er nicht auch June den Kopf verdreht. Er ist Politiker durch und durch. Ich werde mal mit ihr reden müssen.«
Ich bin froh, von Razor in einem solchen Moment ein paar vernünftige Worte zu hören, doch ich muss mich trotzdem zwingen, das Geschehen auf dem Bildschirm weiterzuverfolgen. Die Möglichkeit, dass Anden June den Kopf verdrehen könnte, habe ich
Weitere Kostenlose Bücher