Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)
durchchecken? Wir haben einen straffen Zeitplan.«
Tess führt mich aus der Zentrale und den Flur hinunter. Wir betreten einen der Bunkerräume, die in eine provisorische Krankenstation umgewandelt wurden, und schließen die Tür hinter uns. Wir sind von Regalen umgeben, in denen sich Pillendosen und Kartons mit Verbandsmaterial stapeln. In der Mitte des Raums steht ein Tisch, sodass nur wenig Platz bleibt, um sich zu bewegen. Ich lehne mich an den Tisch, während Tess sich die Ärmel hochkrempelt.
»Tut dir irgendwas weh?«, will sie wissen.
»Ich bin okay«, wiederhole ich. Doch noch während ich es sage, zucke ich zusammen und presse mir die Hände in die Seite. »Na gut, vielleicht ein kleines bisschen angeschlagen.«
»Lass mich mal sehen«, sagt Tess bestimmt. Sie schiebt meine Hände beiseite und knöpft mein Hemd auf. Es ist nicht das erste Mal, dass Tess mich ohne Hemd sieht (ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, wie oft sie mich schon verarztet hat), dennoch ist die Anspannung zwischen uns mit Händen greifbar. Ihre Wangen glühen in leuchtendem Pink, als sie ihre Hand über meine Brust gleiten lässt, dann über den Bauch, und mir schließlich ihre Finger in die Seiten drückt.
Ich ziehe scharf die Luft ein, als sie einen empfindlichen Punkt berührt. »Ja, da habe ich sein Knie abbekommen.«
Tess blickt mir ins Gesicht. »Ist dir übel?«
»Nein.«
»Du hättest das nicht machen sollen«, sagt sie, während sie mit ihrer Arbeit fortfährt. »Sag mal A.« Ich öffne den Mund. Sie tupft mir die blutende Nase mit einem Papiertuch ab, untersucht meine Ohren und eilt dann kurz aus dem Zimmer. Ein paar Sekunden später kommt sie mit einem Eisbeutel wieder. »Hier. Halt das auf die Stelle.«
Ich tue, was sie sagt. »Du bist ja richtig professionell geworden.«
»Ich habe eine ganze Menge von den Patrioten gelernt«, entgegnet Tess. Sie unterbricht ihre Routine und blickt mir fest ins Gesicht. »Baxter gefällt deine … Verbindung zu einer früheren Republiksoldatin einfach nicht«, murmelt sie. »Aber lass dich von ihm nicht so provozieren, okay? Das ist kein Grund, dich von ihm umbringen zu lassen.«
Ich erinnere mich an das Bild von Baxters Arm um Tess’ Schultern; meine Wut wallt von Neuem auf und plötzlich habe ich das Bedürfnis, Tess zu beschützen, so wie ich es damals auf der Straße getan habe. »Hey, Cousine. Das, was ich zu dir gesagt habe, tut mir wirklich leid. Über … du weißt schon.«
Tess wird noch röter.
Ich suche fieberhaft nach den richtigen Worten. »Du brauchst mich doch überhaupt nicht, damit ich auf dich aufpasse«, sage ich mit einem verlegenen Lachen, dann tippe ich ihr mit dem Finger auf die Nase. »Schließlich hast du mich schon tausendmal wieder aufgepäppelt. Ich habe deine Hilfe immer mehr gebraucht als du meine.«
Tess kommt näher und schlägt schüchtern die Augen nieder, eine Geste, die mich all meine Sorgen verdrängen lässt. Manchmal vergesse ich einfach, wie wohltuend Tess’ ergebene Zuneigung ist, mein Fels in der Brandung, so schlimm die Dinge auch stehen mögen. Unsere gemeinsamen Tage in Lake waren ein stetiger Kampf und doch erscheinen sie mir aus heutiger Sicht so viel einfacher. Ich ertappe mich dabei, wie ich mir diese Zeit zurückwünsche, als wir uns jeden Bissen Essen teilten, genauso wie alles andere, was einer von uns aufgetrieben hatte. Was wäre wohl heute passiert, wenn June hier gewesen wäre? Wahrscheinlich hätte sie sich selbst auf Baxter gestürzt. Und sich vermutlich um Längen besser geschlagen, genau wie bei allem anderen. Sie hätte mich kein bisschen gebraucht.
Tess’ Hand verharrt auf meiner Brust, doch sie tastet nicht mehr nach Verletzungen. Plötzlich wird mir bewusst, wie nah sie mir ist. Ihre Augen wandern wieder hoch zu meinen, groß und dunkelbraun … und anders als bei June ist es so leicht, darin zu lesen. Wieder sehe ich das Bild vor mir, wie June den Elektor küsst, eine Erinnerung, die mir messerscharf in die Eingeweide fährt. Bevor ich einen weiteren Gedanken fassen kann, lehnt Tess sich nach vorne und drückt ihre Lippen auf meine. Mein Kopf ist leer, ich bin vollkommen überrumpelt. Ein kurzes Kribbeln durchströmt meinen Körper.
Ich bin so perplex, dass ich sie gewähren lasse.
Dann reiße ich mich von ihr los. Meine Handflächen sind nass vor kaltem Schweiß. Was war das ? Ich hätte es vorhersehen und verhindern müssen. Ich lege ihr die Hände auf die Schultern. Erst als ich den Schmerz durch
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