Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)
ihren Blick huschen sehe, wird mir klar, dass ich einen riesigen Fehler gemacht habe.
»Ich kann das nicht, Tess.«
Sie stößt ärgerlich die Luft aus. »Wieso, bist du jetzt auf einmal mit June verheiratet, oder was?«
»Nein. Aber ich …« Meine Worte trudeln davon, hilflos und traurig. »Tut mir leid. Ich hätte das nicht machen dürfen – jedenfalls nicht jetzt.«
»Und was ist mit June? Die küsst immerhin den Elektor. Was ist damit? Willst du wirklich jemandem so treu sein, der es umgekehrt nicht ist?«
June, immer June. Einen Moment lang hasse ich sie dafür und frage mich, ob vielleicht alles einfacher wäre, wenn wir uns nie begegnet wären. »Das hier hat nichts mit June zu tun«, entgegne ich. »June spielt nur eine Rolle, Tess.« Ich weiche ein Stück vor ihr zurück, bis wir etwa einen halben Meter Abstand zueinander haben. »Ich bin einfach nicht bereit dafür, dass so was zwischen uns passiert. Du bist meine beste Freundin – ich möchte dir keine Hoffnungen machen, wenn ich noch nicht mal selbst weiß, was ich will.«
Tess wirft vor Entrüstung die Hände in die Luft. »Du küsst irgendwelche dahergelaufenen Mädchen von der Straße, ohne auch nur mal kurz darüber nachzudenken. Aber mich willst du nicht mal –«
»Du bist eben kein dahergelaufenes Mädchen von der Straße«, fauche ich. »Du bist Tess .«
Ihre Augen blitzen auf und sie macht ihrer Frustration Luft, indem sie sich so hart auf die Lippe beißt, dass es blutet. »Ich verstehe dich nicht, Day.« Jedes Wort trifft mich mit genau berechneter Wucht. »Ich verstehe dich wirklich nicht, aber ich werde trotzdem versuchen, dir zu helfen. Ist dir denn tatsächlich nicht klar, wie sehr deine wunderbare June dich verändert hat?«
Ich schließe die Augen und presse mir beide Hände an die Schläfen. »Hör auf.«
»Du glaubst, du liebst ein Mädchen, das du seit noch nicht mal einem Monat kennst, ein Mädchen, das … das für den Tod deiner Mutter verantwortlich ist? Für Johns?«
Nichts als Echos dessen, was sie im Schlafraum zu mir gesagt hat. »Verdammt noch mal, Tess. Das war nicht ihre Schuld –«
»Ach nein?«, schleudert Tess mir entgegen. »Day, ihretwegen haben sie deine Mutter erschossen! Und du redest dir trotzdem ein, sie zu lieben? Ich habe dir immer nur geholfen – ich bin dir seit dem Tag, als wir uns kennengelernt haben, nicht von der Seite gewichen. Wahrscheinlich hältst du mich jetzt für kindisch. Tja, ist mir egal. Ich hab nie irgendwas gegen die anderen Mädchen gesagt, mit denen du zusammen warst, aber ich kann einfach nicht mitansehen, wie du dir ausgerechnet das eine Mädchen aussuchst, das dir bisher nur wehgetan hat. Hat June sich überhaupt jemals entschuldigt für das, was passiert ist? Hat sie sich auch nur ein kleines bisschen Mühe geben müssen, damit du ihr verzeihst? Was ist denn bloß los mit dir?« Als ich schweige, legt sie mir die Hand auf den Arm. »Liebst du sie?«, fragt sie dann leiser. »Und liebt sie dich?«
Ob ich sie liebe? Das habe ich ihr zumindest in dem Badezimmer in Vegas gesagt und es war ernst gemeint. Aber sie hat es nicht erwidert. Vielleicht hat sie nie dasselbe für mich empfunden wie ich für sie, vielleicht habe ich mich einfach einer Illusion hingegeben. »Ich weiß es nicht, okay?«, antworte ich. Meine Stimme klingt wütender, als ich in Wirklichkeit bin.
Tess zittert. Jetzt nickt sie, greift schweigend nach dem Eisbeutel und knöpft mein Hemd wieder zu. Die Kluft zwischen uns ist noch größer geworden. Ich frage mich, ob ich jemals wieder zu ihr auf die andere Seite gelangen werde.
»Scheint so weit alles in Ordnung«, sagt sie schließlich mit gleichgültiger Stimme und wendet sich ab. Vor der Tür bleibt sie noch einmal stehen, den Rücken zu mir. »Glaub mir, Day. Ich sage das nur, weil ich dein Bestes will. June wird dir das Herz brechen. Sie wird nichts zurücklassen als Millionen von Scherben.«
JUNE
CA. 9:00 UHR
PIERRA, OLAN-GERICHTSGEBÄUDE
-1,7 °C
Der Tag, an dem Anden ermordet werden soll, ist gekommen und mir bleiben noch drei Stunden bis zum Anschlag der Patrioten.
In der Nacht zuvor hatte ich wieder Besuch von der Soldatin, die mir schon einmal eine Nachricht von den Patrioten überbracht hat. »Gute Arbeit«, hat sie mir ins Ohr geflüstert, als ich hellwach im Bett lag. »Morgen wirst du vom Elektor und seinen Senatoren begnadigt und sie werden im Olan-Gericht ihre Entscheidung offiziell verkünden. Und jetzt hör gut zu. Nach dem
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