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Legend - Fallender Himmel

Titel: Legend - Fallender Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Lu
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ich laut. Das winzige Mikrofon an meinem Mund lässt meine Stimme wie die eines Mannes klingen.
    Stille. Nicht einmal die Plakate an den Wänden des Kiosks regen sich. Heute Nacht weht kein Wind.
    Ich ziehe ein Fläschchen aus dem Holster an meinem Gürtel. Die andere Hand lasse ich auf dem Griff meiner Pistole liegen. »Ich habe hier, was du brauchst«, sage ich und halte zur Bekräftigung das Fläschchen hoch.
    Noch immer nichts zu sehen. Aber diesmal höre ich etwas, das ein winziger Seufzer sein könnte. Ein Atemzug. Mein Blick fliegt zu den Lautsprechern, die die Dachkanten säumen. (Daher also das Klicken. Er hat die Lautsprecher manipuliert, sodass er mit mir reden kann, ohne seinen Standort preiszugeben.) Ich lächele hinter meiner Maske. Genauso hätte ich es auch gemacht.
    »Ich weiß, dass du das hier brauchst«, versuche ich es noch einmal und wedele wieder mit dem Fläschchen durch die Luft. Ich drehe es in meiner Hand und halte es höher. »Es sind alle offiziellen Siegel drauf, auch der Zulassungsstempel. Ich versichere dir, dass es absolut echt ist.«
    Wieder ein Atemzug.
    »Jemand, der dir wichtig ist, würde sich wahrscheinlich wünschen, dass du rauskommst und Hallo sagst.« Ich werfe einen Blick auf die Uhrzeit in meiner Brille. »Es ist jetzt null Uhr fünf. Ich gebe dir zwei Minuten. Dann gehe ich.«
    In der Gasse wird es wieder still. Ab und zu höre ich einen Atemzug durch die Lautsprecher. Mein Blick wandert von der Uhrzeit in meinem Visier zu den Schatten auf dem Dach. Er ist clever. Ich habe keine Ahnung, wo er sich befindet. Vielleicht in dieser Straße - vielleicht aber auch ein paar Blocks von hier entfernt. Ich weiß nur, dass er nah genug ist, um mich sehen zu können.
    Die Uhr in meinem Visier zeigt 0:07. Ich drehe mich um, stecke das Fläschchen zurück in mein Holster und gehe los.
    »Was willst du für das Medikament haben, Cousin?«
    Die Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern, doch durch die Lautsprecher klingt sie rasselnd und Furcht einflößend, so undeutlich, dass ich Mühe habe, die Worte zu verstehen. Sofort schießen mir Fakten durch den Kopf. (Männlich. Leichter Akzent - er kommt nicht aus Oregon, Nevada, Arizona, New Mexico, Westtexas oder einem anderen Republikstaat. Er wurde in Nordkalifornien geboren. Er benutzt den Kosenamen Cousin, was unter Bewohnern des Lake-Sektors üblich ist. Er ist nah genug, um zu sehen, dass ich das Fläschchen wieder eingesteckt habe. Aber er ist nicht nah genug, als dass die Lautsprecher seine Stimme störungsfrei senden würden. Er muss sich in einem Häuserblock in der Nähe, an einem Punkt mit guter Aussicht befinden - das heißt, in einem oberen Stockwerk.)
    Irgendwo unterhalb der zahlreichen Details, die mir durch den Kopf huschen, beginnt, schwarzer, tiefer Hass aufzukeimen. Dies ist die Stimme des Mörders meines Bruders. Dies war vielleicht die letzte Stimme, die mein Bruder in seinem Leben gehört hat.
    Ich warte zwei Sekunden ab, bevor ich wieder etwas sage. Als ich es tue, ist meine Stimme ruhig und gleichmäßig und verrät keine Spur von meiner Wut. »Was ich haben will?«, frage ich zurück. »Das kommt ganz drauf an. Hast du Geld?«
    »Zwölfhundert Noten.«
    (Noten, kein Republikgold. Er raubt bei der Oberschicht, hat aber nicht die Möglichkeiten, die ganz Reichen zu bestehlen. Vermutlich arbeitet er allein.) Ich lache. »Für zwölfhundert Noten bekommst du dieses Fläschchen wohl kaum. Was hast du sonst noch? Irgendwas von Wert? Schmuck?«
    Stille.
    »Oder hast du vielleicht irgendwelche Dienste anzubieten? Ich bin mir fast sicher -«
    »Für die Regierung arbeite ich nicht.«
    Sein wunder Punkt. Natürlich. »Schon gut. Man kann ja mal fragen. Und woher willst du eigentlich wissen, dass ich nicht für jemand ganz anderen arbeite? Meinst du nicht, dass du der Regierung damit ein bisschen zu viel Anerkennung zollst?«
    Eine kurze Pause. Dann kommt die Stimme zurück. »Der Knoten, der deinen Umhang hält. Ich weiß zwar nicht, wie man den nennt, sieht mir aber ziemlich nach Militär aus.«
    Das überrascht mich ein wenig. Mein Umhang ist tatsächlich mit einem Canto-Knoten verschlossen, einem stabilen Knoten, den Soldaten gern benutzen. Day scheint ziemlich genau zu wissen, wie Regierungsuniformen aussehen. Erstaunliche Beobachtungsgabe. Schnell überspiele ich mein Zögern. »Schön, jemanden zu treffen, der einen Canto-Knoten erkennt. Aber ich bin viel auf Reisen, mein Freund. Ich begegne vielen Menschen, ohne gleich

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