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Legend - Fallender Himmel

Titel: Legend - Fallender Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Lu
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beugt sich über die Theke zu mir herüber und senkt die Stimme. »Weißt du, was ich glaube? Ich glaube, dieser Typ hat ’ne Schraube locker.«
    Ich lache mit ihr, aber in Wirklichkeit schwirrt mir der Kopf. Jetzt gibt es keinen Zweifel mehr, dass der Mann nach mir sucht. Vor fast einem Jahr bin ich von einer kleinen Seitengasse aus in eine Filiale der Arcadia-Bank eingebrochen. Einer von den Sicherheitsmännern wollte mich töten. Als er mir verächtlich ins Gesicht spuckte und knurrte, die Laserstrahlen vor dem Tresorraum würden sowieso Hackfleisch aus mir machen, beschloss ich, ihn ein bisschen zu necken. Ich sagte, ich würde nicht länger als zehn Sekunden brauchen, um in den Tresorraum zu gelangen. Er glaubte mir nicht ... aber so ist das immer: Niemand glaubt mir, wenn ich etwas sage, bis ich es dann tatsächlich tue. Mit dem Geld habe ich mir ein schönes Paar Stiefel gekauft und eine Elektrobombe auf dem Schwarzmarkt erstanden - sie macht alle Schusswaffen im Umkreis funktionsuntüchtig. Hat sich als ziemlich nützlich erwiesen, als ich einen Luftwaffenstützpunkt attackiert habe. Und Tess hat eine komplett neue Garderobe bekommen, nagelneue T-Shirts, Schuhe und Hosen, und außerdem noch Verbände, Wundbenzin und sogar eine Packung Aspirin. Und ein paar vernünftige Essensrationen waren für uns beide auch noch drin. Den Rest habe ich meiner Familie gegeben und an andere Leute aus dem Lake-Sektor verteilt.
    Wir flirten noch eine Weile, dann verabschiede ich mich von dem Barkeeper-Mädchen und gehe. Die Sonne steht noch am Himmel und ich spüre Schweißperlen auf meinem Gesicht. Ich habe genug gehört. Die Regierung muss im Krankenhaus irgendetwas gefunden haben und versucht nun, mich in eine Falle zu locken. Sie werden irgendeinen Typen um Mitternacht zum Zehn-Sekunden-Platz schicken und Soldaten in der Gasse dahinter postieren. Die müssen mich für total verzweifelt halten.
    Andererseits werden sie wahrscheinlich wirklich Seuchenmedikamente dabeihaben, um mich aus meinem Versteck zu locken. Nachdenklich presse ich die Lippen aufeinander. Dann mache ich auf dem Absatz kehrt und laufe in die andere Richtung. Zum Bankenviertel.
    Schließlich habe ich eine Verabredung.

JUNE
    23:29 UHR
SEKTOR BATALLA
INNENTEMPERATUR: 22°C
    Das Neonlicht in der Zentrale des Batalla-Sektors ist grell und kalt. Auf einer Toilette in der Abteilung für Observation und Analyse ziehe ich mich um. Ich trage ein langärmliges schwarzes Oberteil unter einer schwarz gestreiften Weste, eine schmale schwarze Hose, deren Beine ich in meine Stiefel gesteckt habe, und einen langen schwarzen Umhang, der meine Schultern umhüllt wie eine Decke. Ein weißer Streifen verläuft über seine Mitte bis zum Boden hinunter. Mein Gesicht ist hinter einer schwarzen Maske verschwunden und eine Infrarotbrille schützt meine Augen. Ansonsten habe ich nur ein winziges Mikrofon und einen noch winzigeren In-Ear-Kopfhörer bei mir. Und eine Pistole. Für alle Fälle.
    Ich muss geschlechtsneutral aussehen, unauffällig und unidentifizierbar. Ich muss aussehen wie ein Schwarzmarkthändler, wie jemand, der reich genug ist, um sich Seuchenmedikamente leisten zu können.
    Metias hätte den Kopf über mich geschüttelt. »Du kannst doch nicht allein auf eine als streng geheim eingestufte Mission gehen, June«, hätte er gesagt. »Da könnte dir wer weiß was passieren.« Welche Ironie.
    Ich ziehe den Knoten stramm, der meinen Umhang zusammenhält, gehe zur Treppe, die zum Ausgang der Batalla-Zentrale führt, und mache mich auf den Weg zur Arcadia-Bank, wo ich Day treffen soll.
    Mein Bruder ist seit einhundertzwanzig Stunden tot. Es fühlt sich schon jetzt an wie eine Ewigkeit. Vor siebzig Stunden habe ich die Freigabe zur Internetrecherche bekommen und so viel wie möglich über Day in Erfahrung gebracht. Vor vierzig Stunden habe ich Commander Jameson einen Plan präsentiert, wie ich Day aufspüren werde. Vor zweiunddreißig Stunden hat sie ihn abgesegnet. Ich glaube nicht, dass sie überhaupt noch weiß, was ich vorhabe. Vor dreißig Stunden habe ich je einen Späher in die Seuchengebiete von Los Angeles - Winter, Blueridge, Lake und Alta - geschickt. Sie sollten eine Botschaft verbreiten: Jemand hat Seuchenmedikamente für dich, komm zum Zehn-Sekunden-Platz. Vor neunundzwanzig Stunden war ich bei der Trauerfeier meines Bruders.
    Ich rechne nicht damit, Day heute Nacht zu schnappen. Ich rechne noch nicht mal damit, dass ich ihn überhaupt zu Gesicht bekomme. Er

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