Legende von Eli Monpress 02 - Herr des Windes
während Boden und Himmel in Übelkeit erregenden Kreisen die Plätze tauschten und sie auf den gepflasterten Platz drei Stockwerke unter sich zurasten. Miranda packte Gins Fell fester und öffnete den Mund, um zu schreien, doch sie konnte keinen Laut von sich geben. Stattdessen floss Mellinor aus ihr heraus. Später wusste sie nicht mehr, ob sie ihn darum gebeten hatte oder ob der Wassergeist selbsttätig gehandelt hatte, aber sie war noch nie in ihrem Leben so glücklich gewesen, dieses unglaublich blaue Wasser zu sehen.
Mellinor warf sich in einer hohen Welle vor sie, traf als Erster auf das Pflaster unter ihnen und formte einen riesigen See. Sie beobachtete mehr erstaunt als verängstigt, wie das Wasser sich zu einem fast vier Meter hohen – oder tiefen – Quell aufbaute. Dann ging Miranda auf, dass sie besser die Luft anhalten sollte.
Mit einem lauten Platschen fiel Gin in das Wasser, und Miranda konnte sich nur mit aller Macht festklammern, weil die Kraft des Aufpralls sie von dem Geisterhund zu reißen drohte. Aber Mellinor fing sie auf, und sein Wasser dämpfte den Fall. Gerade als Gin den Boden berührte, saß sie wieder sicher auf seinen Schultern. Das Wasser hielt sie noch einen Moment fest, bis Gin sein Gleichgewicht gefunden hatte, dann ergoss sich Mellinor mit einem berauschenden Gefühl zurück in Miranda. Sie versteifte sich und schnappte keuchend nach Luft, als der Wassergeist zu ihr zurückkehrte. Wären ihre Finger nicht so fest in Gins Fell vergraben gewesen, wäre sie gefallen. Schließlich befand sich Mellinor wieder in ihrem Körper, und sie standen trocken und sicher auf dem Platz, während hinter ihnen die Geister tobten.
Gin ließ Miranda keine Zeit, die Situation einzuschätzen. Sobald das Wasser verschwunden war, sprang er vorwärts und rannte beinah ein paar gaffende Leute um. Miranda konnte sich nur festklammern und den Kopf einziehen, während der Geisterhund über die Wand sprang, die den Geisterhof vom Rest der Stadt trennte. Niemand versuchte, sie aufzuhalten, als sie durch die belebten Straßen stürmten und direkt auf die südliche Stadtmauer zuhielten.
»Wir fliehen über die südlichen Felder«, sagte Gin. Miranda konnte ihn durch das Rauschen des Windes und die Schreie der Leute, die ihnen mit einem Sprung ausweichen mussten, kaum verstehen. »Sorgen dafür, dass jeder es mitbekommt. Dann, wenn wir Zarin hinter uns gelassen haben, drehen wir nach Osten ab und verschwinden in den weiten Ebenen. Dort gibt es jede Menge Verstecke. Wir können uns ausruhen und überlegen, wohin wir tatsächlich wollen.«
Miranda nickte, sie überließ ihm nur zu gern die Entscheidung. Sie sah auf ihre tief in Gins Pelz vergrabenen Finger und die Ringe, die an ihrer Haut lagen. Dann schaute sie über die Schulter zurück zum großen Turm des Geisterhofes, der hoch und weiß über der Stadt aufragte. Sofort bereute sie es, weil Gefühle ihr die Kehle zuschnürten. Sie zog den Kopf ein, vergrub ihr Gesicht in Gins Fell und sah sich nicht mehr um, bis sie weit, weit entfernt waren.
Etmon Banage entspannte seinen Geist ein wenig, und die Steine, durch die Miranda und Gin gerade gesegelt waren, bogen sich zurück, während die Fenster an ihren angestammten Platz zurückkehrten, als hätten sie sich nie bewegt. Der ehrwürdige Raum unter ihm befand sich in vollkommenem Aufruhr. Hern stand, Befehle schreiend, neben der leeren Anklagebank, die Hände immer noch erleuchtet von seinem blauen Feuergeist. Die anderen Spiritisten beachteten ihn nicht im Geringsten. Sie waren zu sehr damit beschäftigt, ihre Geister zurückzurufen und den armen Spiritisten auf die Beine zu helfen, die versucht hatten, Miranda zu stoppen.
Als Hern verstand, dass er nichts erreichte, stiefelte er zum Fuß der Richterbank und starrte böse nach oben.
»Banage!«, schrie er. »Seid Ihr inzwischen senil geworden? Warum habt Ihr eine verurteilte Kriminelle entkommen lassen?«
»Dieses Fenster ist ein unbezahlbarer Teil unseres Turms«, antwortete Banage sachlich. »Der Geisterhund hätte es so oder so durchquert. Wäre es Euch lieber gewesen, ich hätte es zerstören lassen?«
»Kommt mir nicht damit«, knurrte Hern und stieß mit einem Finger in die Luft, der immer noch in blauem Licht glühte. »Ihr wusstet es. Ihr wusstet, dass sie einen Fluchtversuch starten würde!«
Banage zog die Augenbrauen hoch und schenkte dem jüngeren Mann einen geduldigen Blick. »Ihr wart derjenige, der sie in diese Ecke gedrängt hat,
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