Legenden d. Albae (epub)
Stufen, die zu ihrer Residenz führten.
Eine Residenz, allein erbaut aus den Gebeinen der Vernichteten.
Epokryphen der Schöpferin,
1. Buch, Kapitel 2, 12–17
Ishím Voróo (Jenseitiges Land), 4370. Teil der Unendlichkeit (5198. Sonnenzyklus), Spätsommer
Sinthoras galoppierte auf dem gestohlenen Pferd einen verwucherten Pfad entlang. Ranken und Büsche schlugen ihnen entgegen, doch er trieb das schwitzende Tier gnadenlos an, seit einiger Zeit roch es nach Torffeuern, ohne dass er auf Behausungen gestoßen wäre. Einbildung?
Er glaubte, erste taube Stellen an seinen Fingern bemerkt zu haben. Die Hinterlassenschaft von Munumons Boshaftigkeit, die bald noch stärker zutage treten würde.
Der Alb hatte sich unterwegs bei Nomaden am nächtlichen Lagerfeuer umgehört und den genauen Weg zum Dämon beschrieben bekommen. Das schloss er zumindest aus dem Gehörten: Die Barbaren nannten das nordwestlichste Gebiet
Land des Endlosen Todes
und mieden es mit ihren Herden. Das Leben, das die Götter in die Welt gesetzt hatten, würde dort nicht bestehen und sei Schlimmerem gewichen.
Für Sinthoras klang es erfreulich nach Dämonenwerk, und deswegen lenkte er die Schritte des Pferdes dorthin.
Die Zeichen auf seinem Weg gaben ihm recht. Er war durch verlassene Ortschaften geritten, hatte eingefallene Tempel in Ebenen stehen sehen und war an einer umgestürzten Statue vorbeigekommen, die den Zeichen nach einer Gottheit des Lichts gewidmet gewesen war. Barbaren und Götter hatten diesen Landstrich verlassen. Und wie es schien, hatten die Barbaren die Götter für ihre Untätigkeit bestraft, indem sie die heiligen Stätten zerstört und die Standbilder umgestürzt hatten.
Bald finde ich dieses Wesen,
dachte er sich.
Dann kommt mein Sieg über Caphalor und über sämtliche
Gestirne
. Wir
Kometen
werden Dsôn Faïmon in eine glänzende Zukunft führen.
An seinen eigenen Tod dachte er lieber nicht. Sinthoras glaubte fest daran, dass er durch die Missachtung des Giftes mehr erreichte, als wenn er ständig auf das nächste Anzeichen wartete. Gleichermaßen unerschütterlich war seine Überzeugung, lebend nach Dsôn zurückzukehren. Er wollte seinen Triumph, er wollte seine Segnung durch die Unauslöschlichen, und er wollte den Marsch gegen Tark Draan erleben und sich durch die Erfolge zum Anführer der
Gestirne
aufschwingen. Sein Name musste in den Legenden seines Volkes erwähnt werden.
Mein Wille schützt mich vor der Endlichkeit,
sagte er sich.
Deswegen werde ich leben, und Caphalor wird sterben.
Das Pferd durchbrach eine Wand aus dichten Blättern, und Sinthoras sah zwei Schritt vor sich – einen Abgrund!
Im selben Augenblick war ihm klar: Sein viel zu schnelles Tier ließ sich nicht mehr zum Stehen bringen. Daher rollte er sich rückwärts über die Kruppe ab, löste dabei die Satteltaschen und kam mit den Füßen auf; den Speer nutzte er, um das Gleichgewicht zu bewahren.
Das Pferd versuchte noch, einen rettenden Haken zu schlagen, doch es gelang ihm nicht mehr. Wiehernd rutschte es über den Rand und verschwand aus Sinthoras’ Blick.
Der Alb trat nach vorn, an die Kante, und hielt vor Überwältigung den Atem an.
Vor ihm erstreckten sich Bergketten, nicht mehr als achthundert bis tausend Schritt hoch, doch sanft ansteigend und ohne schroffe Wände. Sie reihten sich in- und aneinander, schimmerten im Dunst braun und dunkelgrün. An vielen Stellen stieg Rauch von ihnen auf, ganze Bereiche glommen dunkelrot wie Pfeifentabak und spien schwarzen Qualm aus. Die Erhebungen, die flachen Abschnitte dazwischen, alles Land bestand aus Torf. Und es hatte sich entzündet!
Das unentwegte Glimmen hatte tiefe Löcher in den Untergrund gebrannt, Krater gähnten und sandten aus immenser Tiefe noch mehr weißlichen Dampf.
Sinthoras empfand den Anblick von Zerfall als beflügelnd.
Überwältigend
!
Er sah einen Wald, der nur noch aus verkohlten Bäumen bestand, gleich daneben standen die Überreste einer Stadt, deren Häuser verbrannt und eingestürzt waren. Ihnen war der Boden durch das Feuer entzogen worden, die Fundamente hatten nachgegeben.
Wahrliches Dämonenland.
Aufregung packte den Alb. Schnell machte er sich an den Abstieg, vorbei an dem zerschmetterten Leichnam des Pferdes. Gegen Mittag eilte er auf die Stadt zu.
Sinthoras lief über knöcheltiefe Asche. Der Boden unter seinen Sohlen strahlte enorme Wärme ab. Den Himmel sah er durch den Qualm kaum, die Sonne war nicht mehr als ein dreckiger, glühender Ball. Die
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