Legenden d. Albae (epub)
Orchester. Bei aller Euphorie war dies anders als die Feiern der Menschen, die Raleeha kannte. Es gab wenig Aufruhr, nichts Unkontrolliertes, sondern besaß eher den Charakter einer heiligen Zeremonie, einer Messe zu Ehren eines Gottes. Die Lieder, die Stimmen wirkten auf sie sowohl Furcht einflößend als auch anziehend.
Ihnen wohnt der magische Zauber dieses Volkes inne.
Sie stand hinter Caphalors Familie, die sie nach Dsôn begleitet hatte. Es war ein einzigartiges Erlebnis, und die Anwesenheit an einem solchen Tag war eine Selbstverständlichkeit, das hatte sie aus den Unterhaltungen zwischen Tarlesa und ihrer Mutter vernommen. Die gesamte Familie erfuhr dadurch einen gesellschaftlichen Aufstieg. Das ließ sich kein Alb entgehen.
Raleeha freute sich für Sinthoras. Wie gern würde sie sein Antlitz sehen, mit all dem Stolz darauf, und dann das, was sie gesehen hatte, zeichnen. Noch war es ihr verwehrt, aber die Heilung schritt voran. Sie wagte es, Hoffnung zu schöpfen. Bald stünde sie wieder in seinen Diensten, das hatte ihr Caphalor zugesagt.
An der zunehmenden Lautstärke erkannte sie, dass sich der Tross gleich auf ihrer Höhe befinden musste.
»Sieh nur! Mutter, sieh nur! Vater hat noch niemals mehr wie ein Held gewirkt als heute«, rief Tarlesa aufgeregt. »Sardaî hätte keinen besseren Herrn haben können.«
»Dein Vater ist zu einer Legende geworden. Die Huldigungen gebühren ihm. Seine Taten in Ishím Voróo sind einzigartig«, gabEnoïla zurück.
Von denen er keine einzige vollbracht hat,
dachte Raleeha. Das Schauspiel der beiden Albinnen würde gewiss perfekt sein, um den Anschein zu wahren, dass Caphalor stets an Sinthoras’ Seite gewesen war.
Der vielfache Hufschlag zog vorüber. Erst nach einer ganzen Weile endeten das Rufen und die Musik. Die Menge löste sich auf, Raleeha wurde am Halsband gezogen.
Sie folgte gehorsam und hörte dabei, wie Tarlesa und Enoïla sich über das Gesehene unterhielten. Immer wieder wurden sie von anderen Albae unterbrochen, die sie beglückwünschten. Grüße wurden für Caphalor hinterlassen.
Raleeha ärgerte sich beinahe schon deswegen.
Sei nicht dumm. Er hat dir das Leben gerettet, gönne ihm die Anerkennung, auch wenn es den Falschen trifft,
sagte sie sich. Es war ihr bewusst, dass sie ihm viel schuldete.
Allmählich verstummten die fremden Stimmen, sie kamen schneller voran.
Eine Tür wurde geöffnet. Warme, angenehm duftende Luft strömte in Raleehas Nase, und die hellen Töne eines Windspiels erklangen. Dann grüßten Mutter und Tochter eine Albin; sie unterhielten sich leise, sodass Raleeha nichts verstand.
»Setz dich«, befahl ihr Tarlesa unvermittelt, und ein Hocker wurde ihr gegen die Kniekehlen geschoben. »Wir sind bei einer guten Freundin meiner Mutter, also benimm dich und schweige. Rühr dich nicht. Tue nichts außer atmen.«
Raleeha nickte.
»Und bevor du fragen kannst: Nein, du wirst nicht zu Sinthoras geschickt.«
»Herrin!«, rutschte es ihr heraus.
»Schweig, befahl ich!« Tarlesa zog das Würgehalsband enger. »Mein Vater hat uns angewiesen, dich wieder mit nach Hause zu nehmen. Er hat sich dagegen entschieden, dich zurückzugeben.«
Raleeha gab einen aufbegehrenden Ton von sich, was ihr einen harten Schlag von Tarlesa gegen den Kopf einbrachte.
»Wirst du wohl?«, sagte die junge Albin böse. »Undankbares Ding! Erst mühe ich mich um dein Augenlicht, dann wirst du aufsässig, weil man deine Wünsche nicht anerkennt? Ich werde dich zurück in die Finsternis stoßen, wenn du mich weiter reizt.«
Raleeha wurde mit der rechten Schläfe gegen die Wand geschubst. Wie gern hätte sie geschrien, dass ihr das Augenlicht gleichgültig war, wenn sie Sinthoras und seine einzigartigen Werke nicht sehen durfte.
Ein lauter Ruf erklang. Enoïla bat ihre Tochter zu sich.
Raleeha versagte sich das Weinen, doch ein paar Tränen ließen sich nicht zurückhalten. Sie rannen aus Wut und Enttäuschung. Das feine Stimmchen in ihrem Kopf wurde wieder lauter.
Ein Alb hatte sie geblendet, der andere hielt sein Wort nicht.
Für sie bist du eine Barbarin, eine Sklavin, deren Abstammung und Talent nichts gelten.
Die schlechte Behandlung war der Preis, den sie für das Leben mit ihren Vorbildern zahlen musste.
Es ist dennoch ungerecht.
»Mein Mann wird dich freilassen, sobald der Marsch gegen Tark Draan begonnen hat«, sagte Enoïla, die unbemerkt zu ihr getreten war. »Meine Jüngste ist sehr aufgeregt, weil sie ihren Vater in dieser Kulisse gesehen
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