Legenden d. Albae (epub)
Bruder und dein Fürst!«, herrschte er sie an. »Ich kann es dir befehlen!«
»Aber du bist nicht mein Gebieter«, erwiderte sie sanft, um ihn zu beruhigen. »Ich gehöre Caphalor. Wenn
er
mich in die Freiheit befiehlt oder es mir überlässt, wann ich Dsôn Faïmon den Rücken kehre,
dann
gehe ich.«
Es krachte laut, und sie schrak zusammen. Farron musste mit beiden Fäusten gleichzeitig auf den Tisch geschlagen haben.
»Ich erwarte nicht, dass du mich verstehst«, sagte sie seufzend. »Bitte, lass mir mein Leben und freue dich auf den Tag, an dem ich zu dir und Mutter und zu unserer Familie zurückkehre.«
Zu Besuch,
dachte sie bei sich. Sie wollte Dsôn Faïmon nicht den Rücken kehren. Sobald sie wieder sehen könnte, wollte sie das Lernen aufnehmen. Das Malen, das Zeichnen. »Aber ich will zu einer Meisterin werden.«
»Uneinsichtige Närrin«, murmelte er verständnislos, nahm aber wieder ihre Hände in die seinen. »Wir machen uns große Sorgen, das ist alles.«
»Ich weiß, ich weiß.« Raleeha lächelte ihn an.
Schweigen senkte sich auf das Zimmer herab, während sie da saßen.
»Du weißt«, sagte Farron, und plötzlich hörte er sich bittend an, »dass ich den Albae nicht traue und immer eine Hinterlist fürchte. Auch wenn ich ihr Verbündeter bin.«
»Das musst du nicht.«
»Mich könntest du vielleicht beruhigen, aber meine Krieger nicht«, erwiderte er und lachte. »Sag, Schwester, gibt es eine Schwachstelle bei den Albae?«
Ihr wurde kalt.
Er versucht es schon wieder.
»Wie meinst du das?«
»Gibt es etwas, das sie besonders verwundbar macht?«, führte er aus. »Kann sie ein bestimmtes Metall sofort töten? Wo sind die Lücken in der Verteidigung ihres Reichs?« Er rückte näher heran, wie sie an den Geräuschen ausmachte. »Du hast früher viel gezeichnet. So ziemlich alles, was dir gefiel, landete auf einem Blatt. Hast du so etwas auch bei den Albae getan?« Ihr Gesicht schien sie verraten zu haben. »Ich wusste, dass du es noch immer so handhabst!«
»Meine Skizzen und Zeichnungen sind bei meinem Gebieter«, erklärte sie ihm und war froh, wenigstens aus dieser Zwickmühle zu gelangen, ohne lügen zu müssen. »Er hat sie an sich genommen, weil er erkannte, dass sie seiner Heimat gefährlich werden könnten.«
Farron fluchte. »Ich sehe, dass aus meiner Schwester bereits eine halbe Albin wurde. Nicht nur dem Äußeren nach«, sagte er niedergeschlagen und mitleidig. »Bitte, Raleeha: Lass dich von mir entführen! Sie können mir nichts tun, weil sie meine Soldaten benötigen!« Sein Griff schmerzte. »Du kannst und wirst auch niemals eine Albin sein.«
»Möchte ich auch nicht«, gab sie zurück. »Es genügt, wenn ich bei ihnen sein und von ihnen lernen kann. Jetzt lass mich los! Du tust mir weh.«
Seine Hände gaben sie frei, ein Stuhl wurde zurückgeschoben, schwere Schritte entfernten sich. »Ich wünsche dir Einsicht, Schwester«, verabschiedete er sich bitter von ihr. »Wenn ich dich das nächste Mal wieder frage, ob du mich begleitest, und du ziehst die Schwarzaugen vor, werde ich dich als meine Blutsverwandte verleugnen. Bis dahin: lebe wohl.« Krachend fiel die Tür zu.
Raleeha saß wie vom Donner gerührt.
Ausgestoßen. Auf immer
! Kann ich das ertragen
?
Erinnerungen von früher, die Fragen undDrohungen ihres Bruders, der Geschmack und der Geruch ihres Lieblingsgebäcks, alles mischte sich zu einem Durcheinander.
Weinend schlug sie die Hände vors Gesicht. Etwas anderes wusste sie nicht zu tun.
XV
Als nun aber die Leichen ausgebeint und die Knochen nach Dsôn geschafft wurden, entdeckten die Soldaten, dass zehn dieser unbezwingbaren Krieger der Wirkung des Giftes entgangen waren.
Die Spur der Überlebenden verlor sich im Westen von Ishím Voróo.
Im Gedenken an das ausgerottete Volk nannten es die Unauslöschlichen Tions Söhne. Die Knochen und Schädel bekamen den besten Platz auf dem Beinturm, ganz oben auf der Spitze.
Epokryphen der Schöpferin,
1. Buch, Kapitel 2, 33–36
Ishím Voróo (Jenseitiges Land), Albae-Reich Dsôn Faïmon, Dsôn (Sternenauge), 4371. Teil der Unendlichkeit (5199. Sonnenzyklus), Winter
»Erzählt uns doch mehr über den Dämon, der auf unserer Seite kämpfen wird.«
Sinthoras, der soeben das Glas mit dem Schaumwein an die Lippen hob, blickte zu Khlotòn, dem Gastgeber des Abends, und hätte ihn für diese Äußerung am liebsten auf der Stelle tot gesehen.
Ob die Leibgarde wohl aus Gefälligkeit diesen Befehl ausführt
?
Natürlich
Weitere Kostenlose Bücher