Legenden d. Albae (epub)
einen Schluck Suppe. »Hast du das verstanden?«
»Ja«, hauchte Quanlot beeindruckt.
»Sei besonders respektvoll zu Albinnen, die viele Kinder geboren und am Leben erhalten haben«, schärfte sie ihm ein. »Du erkennst sie an den Strähnen in den Haaren. Sie besitzen einen besonderen Stellenwert in der Gesellschaft. Die hohe Säuglingssterblichkeit führt dazu, dass sich die Albae nicht zu sehr vermehren, deswegen gilt ihnen ein enormes Ansehen.«
»Das ist der Ausgleich zu ihrer Unsterblichkeit«, warf Wirian ein. »Gerechtigkeit, würde ich es nennen.«
»Wenn sie unsterblich sind, haben sie dann immer den gleichen Gefährten?«, wollte der Junge wissen.
»Albae vermählen sich gelegentlich, tun es aber sehr selten, um nicht ein unendliches Leben lang an einen einzigen Partner gebunden zu sein. Im Schnitt wechseln die Albae alle zehn bis zwanzig Teile der Unendlichkeit ihren Partner.«Raleehas Gedanken schweiften wieder zu Sinthoras. Wie gerne hätte sie an seiner Seite gelegen!
Quanlots Neugier war geweckt. »Was tun die jungen Albae hier im Haus? Sie dienen sicherlich nicht freiwillig, oder? Sind es Sklaven wie wir?«
»Herrje, nein! Es sind junge Herren, und was sie tun, gehört zu ihrer Ausbildung«, erklärte sie. »Der Nachwuchs der Albae wird sehr schnell erwachsen, die Sprünge verlaufen in Siebenerstufen. Ihre Ausbildung in einer spezifischen Profession beginnt mit vierzehn und dauert bis zum einundzwanzigsten Teil der Unendlichkeit. Danach muss der Nachwuchs sich selbst bei einem Meister bilden.« Raleeha schob den Teller von sich und tastete nach dem Brot. »Kinder werden immer von der Mutter erzogen, der Vater hat wenig Mitspracherecht und dient in erster Linie zur Vermittlung handwerklicher Dinge.« Sie lächelte in seine Richtung und brach ein Stück Brot ab. »Das wiederum ist so ganz anders als in deiner Heimat, habe ich recht?« Sie fühlte, dass ihre Müdigkeit immer stärker wurde, und gähnte. »Hast du dir alles gemerkt, Quanlot?«
»Ja«, entgegnete er.
»Gut. Dann machen wir morgen weiter.« Sie erhob sich und verließ die Küche zusammen mit Wirian, um ihre Schlafkammer aufzusuchen. Die beiden Frauen legten sich in ihre Betten, und während Raleeha den anderen Sklavinnen bei ihren Erzählungen vom heutigen Tag lauschte, dämmerte sie ein, den Kopf gegen die Wand gelehnt. In ihrer Vorstellungskraft wurde sie zur Schulter ihres Gebieters.
Raleeha lächelte.
Ishím Voróo (Jenseitiges Land), Albae-Reich Dsôn Faïmon, Dsôn (Sternenauge), 4370. Teil der Unendlichkeit (5198.Sonnenzyklus), Sommer
Caphalor sah Sinthoras auf dem Boden liegen, vor dem Podest, auf dem die beiden Throne der Unauslöschlichen standen. Gleich nach den letzten Worten des Dieners, der ihn den Turm hinaufgeleitet hatte, warf er sich neben dem Alb ehrfürchtig auf den Boden. Dann spitzte er zur Seite, um in Sinthoras’ Gesicht zu sehen.
Seine Züge waren voller Ablehnung; andeutungsweise erkannte er schwarze Linien darauf. Wutlinien. Er musste sich sehr über sein Erscheinen hier ärgern. Mehr als das.
Caphalor freute es, und er grinste ihn boshaft an. Die feinen schwarzen Linien auf Sinthoras’ Gesicht nahmen abrupt zu.
Caphalor hatte keine Vorstellung, weswegen ihn das Herrscherpaar zu sich bestellt hatte. Dass er Sinthoras hier vorfand, machte ihn staunen. Mit diesem Alb hatte er nichts gemein!
»Caphalor«, sagte der Herrscher mit fein tönender Stimme. »Es erfreut mein Herz, dich zu sehen.«
Zum Zeichen des Dankes erhob Caphalor andeutungsweise die Arme.
»Steht auf«, vernahmen sie den Befehl gleichzeitig aus den Mündern der Geschwister.
Diener trugen einen drei Schritt hohen Sichtschutz aus dünnem, getöntem Papier herein und platzierten ihn zwischen den Albae und den Unauslöschlichen. Deren schemenhafte Umrisse und die der Throne waren klar zu erkennen, doch der Verstand der beiden Krieger war nun vor der unfassbaren Schönheit geschützt, und die überschwängliche, gefährliche Freude über ihren Anblick konnte ihnen nicht das klare Denken rauben. »Sinthoras, berichte, was du und deine Freunde aus Ishím Voróo zu erfahren geglaubt haben.«
Caphalor sah, dass der Alb erschrak. In ihm breitete sich Neugier aus, was er gleich hören und was im Anschluss daran geschehen würde.
»Ihr Unauslöschlichen«, sprach Sinthoras stockend. »Ich bin hier, um Euch über die Eroberungszüge der Barbarenstämme im Norden zu berichten. Die Familie Lotor ist im Begriff, einen Fürsten nach dem anderen
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