Legenden d. Albae (epub)
in Schwärmen über sie her, und im Sommer bestand ihr Tagesablauf darin, auf den Feldern zu stehen oder das Vieh zu scheren. Abends erwartete man von ihr, dass sie für die besoffenen Freunde ihres Bruders sang und tanzte, anstatt malen zu dürfen. Auch als Schwester eines Fürsten war ihr Leben hart und unerquicklich. Grob und fernab von jeglicher Kunst, die sie so sehr liebte.
Hier dagegen lebte sie in Pracht, umgeben von Wissen und Schönheit. Raleeha würde ihrem Gebieter vergeben, was er ihrangetan hatte.
Ich habe die Regeln gekannt und sie nicht befolgt,
sagte sie der rebellischen Stimme.
Also schweig
!
Niemals würde sie Sinthoras verlassen, sondern eher sterben. Sie würde einen Weg finden, ihr künstlerisches Talent wieder auszuüben, auch ohne ihr Augenlicht. Vielleicht würde sie dadurch eine andere Ebene erreichen, wie es die Albae vermochten?
Wirian ließ ihre Schultern los. »Was hast du?«
»Nichts«, log Raleeha und fuhr sich prüfend mit einer Hand über das Haar. Sie trug es zu langen Zöpfen geflochten und darüber einen nachtfarbenen Schleier mit kleinen leuchtenden Sternen. Sie wusste, dass es ihrem Gebieter gefiel, auch wenn er sie kaum ansah.
Manchmal stellte sie sich vor, dass Sinthoras sie zu seiner Gespielin wählte …
In ihren kühnsten Träumen vertrieb er sich mit ihr die Zeit, bis er eine Albin gefunden hätte, die nach seinem Geschmack war. Doch das war wohl ebenso wahrscheinlich, wie dass ihr zwei neue Augen wuchsen. Albae gaben sich nicht mit anderen Rassen ab, schon gar nicht mit ihren Bediensteten und Sklaven, ganz gleich, ob sie freiwillig mitgekommen waren oder nicht. Sie seufzte. »Was gibt es noch Neues?«
»Eine Albin hat heute durch einen Boten um ein weiteres Treffen mit dem Gebieter gebeten«, plauderte Wirian. »Sie war schon öfter hier. Ich glaube, ihr Name ist …«
»Yantarai«, vollendete Raleeha unverzüglich. Yantarai war schon sehr alt, auch wenn man es den Albae nicht ansah. Sie hatte sieben Kinder geboren – sieben Mädchen –, was sie zu einer hoch angesehenen Person in Dsôn machte. Mädchen galten als Bringerin des Lebens mehr als Jungen. Wenn sie sich ernsthaft für Sinthoras interessierte, könnte es bald eine Gebieterin im Haushalt geben. Nicht, weil Sinthoras ihr verfallen, sondern weil er durch sie weiteren gesellschaftlichen Aufstieg erlangen würde. Raleeha wusste, wie ihr Gebieter dachte. Wie ehrgeizig er war.Wie sehr er darauf drängte, von den Unauslöschlichen gesegnet zu werden und eine besondere Rolle im Staat zu spielen. Deswegen hatte er sich bislang kaum mit der Suche nach einer Partnerin beschäftigt. Nun kamen die Albinnen zu ihm. Raleeha ballte die Hände zu Fäusten. »Der Gebieter ist aber nicht da.«
»Deswegen hat sie ihm einen Brief hinterlassen.« Wirian kicherte mädchenhaft. »Sie bandeln miteinander an, oder?«
Raleeha stieß vor lauter Enttäuschung einen Schrei aus. Sollte sich jemand über ihren Ausbruch wundern, könnte sie ihn auf die Schmerzen in ihren Augenhöhlen schieben.
Wirian steigerte sich unterdessen in die Vorstellung hinein, einer Albae-Vermählung beiwohnen zu dürfen, was Raleeha noch mehr seelische Qualen verursachte.
»Ich muss etwas erledigen«, unterbrach sie die Aufzählungen der Sklavin, stand auf und schritt dorthin, wo sie die Tür vermutete. Sie prallte gegen die Kante der Anrichte, fand den Weg hinaus und stand schließlich schwer atmend in dem Korridor, der zur Doppeltür führte. Dahinter lag das Reich ihres Gebieters.
Raleeha ging bedächtig weiter, schritt voran und betrat nach einer Weile verbotenerweise Sinthoras’ Schlafgemach. Sie beugte sich über das Bett, sog den weihrauchartigen Geruch seines Duftwassers vom Kissen in sich auf und strich über den Stoff, liebkoste ihn, als berührte sie seine Züge. Der Gedanke, dass Yantarai neben ihrem Gebieter lag, ließ Eifersucht in ihr auflodern. Was wollte sie mit ihm, der so viele Teile der Unendlichkeit jünger war als sie? Wollte sie sich mit frischem Blut vergnügen?
Raleeha richtete sich auf. Als einfache Sklavin hatte sie keinerlei Einfluss auf das, was ihr Gebieter tat. Die Gesetze der Albae waren streng, und sie besaß keinerlei Rechte. Gesellschaftlichen Aufstieg gab es hier für sie nicht.
Die ersten Momente der Unendlichkeit in Dsôn Faïmon waren schwer gewesen. Sinthoras hatte ihr gar nichts beigebracht,weder über die Sitten noch die Gebräuche, noch die Regeln innerhalb des Albae-Reichs. Das hatte sie durch
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