Legenden d. Albae (epub)
wussten, dass sie niemals sein können wie wir. Nicht einmal in Teilen.« Caphalor wusste in Wahrheit nicht, ob Versuche dieser Art je gelungen waren oder nicht. Doch selbst wenn, würde er es der Sklavin niemals sagen. »Jetzt kehre zu deinem Gebieter zurück.«
»Sehr wohl, Ehrwürdiger.« Raleeha verneigte sich und ging langsam zu Sinthoras, der sie beobachtet hatte.
Kurz bevor sie ihn erreicht hatte, sprang er auf, packte sie grob am Würgehalsband und zerrte sie hinter sich her zum Höhlenausgang.
»Hier!«, rief er aufbrausend und schleuderte die keuchende Frau Caphalor vor die Füße. »Ich schenke sie dir. Da du so sehr Gefallen an ihr findest.«
»Gebieter!«, hauchte Raleeha erschrocken und bekam von ihm den Stiefel in die Seite.
»Schweig, du!« Sinthoras funkelte seinen Rivalen an. »Wie ich sagte: Sie ist dein.«
»Ich will sie nicht«, antwortete Caphalor überrumpelt.
Sinthoras zog mit einer Hand den Dolch, mit der anderen griff er in ihre Haare. »Dann wird es das Beste sein, wenn ich sie umbringe. Dann kann sie niemandem verraten, was wir …«
»Schön.« Caphalor nickte ihm zu. »Ich nehme sie, bevor du eine Sklavin aus der Familie Lotor umbringst, die uns bald nutzen könnte.«
»Nutzen, pah! Gegen Barbaren haben wir immer gesiegt.« Er sah zu Raleeha. »Mach mir keine Schande und diene ihm besser als mir. Deine Augen sind dir schon genommen worden. An deiner Stelle würde ich nicht noch mehr Gliedmaßen in Gefahr bringen.« Sinthoras schnitt sein Zeichen aus dem Halsband. In die freie Stelle, unter der blanke Haut zu sehen war, ritzte er mit dem Dolch Caphalors Signum. Die Sklavin sog laut die Luft ein, während die Klinge ihre Haut zerschnitt und dunkelrotes Blut hervorquoll. »Damit gehörst du ihm.« Er kehrte an die Flammen zurück und legte sich nieder, um zu schlafen.
Raleeha kniete vor Caphalors Füßen, schluchzte leise. Sie weinte nicht vor Schmerzen, das ahnte er, sondern weil sie ihren Gebieter verloren hatte, den Alb, dem sie freiwillig in die Sklaverei, in die Verbannung gefolgt war. Verschenkt an einen anderen, der sie nicht einmal wollte.
»Steh auf«, sagte er sanft, viel zu sanft für einen Befehl an eine Rechtlose. Unfreundlicher wiederholte er: »Hoch mit dir!«
Raleeha gehorchte ihm.
Es sah faszinierend aus, wie die Tränen durch die schwarze Binde quollen. In dem warmen Licht der Flammen bekam die Sklavin durchaus etwas Albisches, eine nicht zu verleugnende Anziehungskraft, geboren aus Schwermut und Schmerz. Caphalor konnte sich an ihrem Leid gar nicht sattsehen und wünschte sich, diesen Moment festhalten zu können. Dafür fehlteihm jedoch das Talent. Er war ein begnadeter Knochenschnitzer und kein Maler. »Leg dich hin. Du kannst Sardaîs Decke nehmen, wenn dir kalt sein sollte.«
Sie neigte das Haupt. »Sehr wohl, Ehrw… Gebieter.« Raleeha war im Begriff, sich abzuwenden, da schnellte seine Linke nach vorn und öffnete alle drei Lederriemen, die um ihre Kehle lagen. Verwundert blieb sie stehen.
»Vergiss nicht, dass du etwas essen musst«, sprach er nachdrücklich. »Essen und trinken. Morgen wirst du wieder hier warten, während Sinthoras, die Obboona und ich die Himmelsfestung genauer untersuchen.«
»Ob die Obboona dann noch lebt, werden wir sehen«, kommentierte Sinthoras vom Feuer aus, ohne sich zu ihnen umzudrehen. »Irgendwelche Aasfresser werden über Nacht dafür sorgen, dass die Trollkadaver verschwunden sind. Der Käfig wird einiges aushalten müssen.«
Wie zum Beleg seiner Worte vernahmen alle drei den Entsetzensschrei der Obboona, gefolgt von Vogelgekrächze und Raubtierbrüllen. Es würde eine harte Nacht für sie werden. Und Caphalor fühlte kein Quäntchen Mitleid.
Ishím Voróo (Jenseitiges Land), das Reich der Fflecx, 4370. Teil der Unendlichkeit (5198. Sonnenzyklus), Sommer
Das Morgengrauen kam mit Nebel und ermöglichte den Albae somit, sich im Schutz des Dunstes nahe an die Grundmauern der Himmelsfestung heranzuschleichen.
Sie liefen von Turm zu Turm und begutachteten das fugenlose Mauerwerk, bei dem sich Quader auf Quader schichtete, ohne dass Mörtel zum Einsatz gekommen war. Bei dem Gewicht, das sie trugen, gab ihnen der Druck des Gesteins genügend Halt, wieSinthoras befand.
Mit den Dolchknäufen pochten sie behutsam gegen die Sockel, aber auf das dumpfe Geräusch eines Hohlraums warteten sie vergebens. Caphalor grub unmittelbar an der Grasnarbe, um zu sehen, wie tief die Türme in die Erde stachen, doch nach einer Weile
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