Legenden d. Albae (epub)
gab er auf. Sie mussten zehn Schritt und mehr in den Boden reichen.
Während die beiden Albae suchten und forschten, stieg die Sonne höher und löste die Schwaden aus Wasserdampf auf. Sinthoras blickte an den wolkenhohen Türmen entlang nach oben zu den verflochtenen Verbindungen aus Röhren und Treppen. Einige von ihnen waren mit mannsbreiten eisernen Ringen umgeben, von denen armdicke Stahlseile zu Haken im Mauerwerk führten.
»Das verhindert wohl, dass sie während eines Sturmes zu schwingen beginnen«, mutmaßte er und konnte seine Bewunderung nicht unterdrücken. Nein, er wollte sie nicht unterdrücken! »Ich kann mich nicht satt daran sehen«, sagte er und sog die Eindrücke in sich auf. Ein solches Gebilde, wenn auch kleiner, würde er sich in Dsôn errichten! Niemand sonst besäße eine vergleichbare Residenz. Und Caphalor konnte sich ein solches Gebäude nicht leisten.
»Du spielst sicher bereits mit dem Gedanken, den Gålran Zhadar zu entführen und mitzunehmen, anstatt ihm den Kopf abzuschlagen«, spottete Caphalor. »Er müsste dir auch so etwas Hübsches bauen.«
Sinthoras fand den Vorschlag glänzend. »Warum nicht? Ein derartig grandioser Baumeister sollte sein Leben nicht wegen eines Pergaments und einer Krone verlieren. Diese Missgeburten kann ich sicherlich überreden, ihn mir lebend zu überlassen, wenn ich ihnen genügend bunten Firlefanz aus der Schatzkammer mitbringe. Oder Zuckerwerk.«
»Du vergisst eine Sache.« Caphalor umrundete Sinthoras,stellte sich vor ihn, legte eine Hand gegen die Mauer und deutete nach oben. »Wie gelangen wir ohne die Hilfe der Obboona hinein? Sollen wir eine fugenlose Wand erklimmen, viele hundert Schritt hoch? Ich vermag so etwas nicht. Zwanzig Schritt hätte ich mir noch gefallen lassen, aber das Zehnfache und mehr? Niemals.«
»Die schwarzhäutigen Giftpanscher wussten, warum sie uns diese Aufgabe überließen. Mit ihren dünnen Ärmchen kratzen sie die Mauern nicht einmal an.« Sinthoras hasste es, eingestehen zu müssen, dass auch er keine Möglichkeit sah, bis zu den Treppen zu gelangen. Die Türme selbst wiesen keine Fenster auf. Blinde Pfeiler, mehr waren sie nicht.
»Ich frage mich, was an einer Fflecx-Krone so besonders ist, dass ein Gålran Zhadar sie rauben musste«, murmelte Caphalor vor sich hin. »Und ein Pergament – welchen Inhalts?«
»Geht es uns etwas an?«, gab Sinthoras tadelnd zurück. »Es spielt keine Rolle. Munumon hätte von uns ebenso ein blau bemaltes Pferd und eine zerstörte Harfe verlangen können.«
»Ganz so leicht mache ich es mir nicht.« Caphalor schien auf eine neuerliche Auseinandersetzung erpicht zu sein.
»Er hat uns in der Hand«, hielt Sinthoras dagegen. »Oder besitzt du etwa das Gegenmittel zu dem, was die Pfeile in unser Blut brachten?«
»Angenommen, die Krone und das Pergament wären der Schlüssel zur Eroberung unserer Heimat und wir hätten die Möglichkeit, es zu erfahren, bevor wir sie zu Munumon bringen – würdest du das Gleiche sagen?«
Sinthoras seufzte entnervt. »Das ist doch Unsinn. Barer Unsinn.«
»Es würde mich dennoch interessieren, was sich hinter den Gegenständen verbirgt. Welche Bedeutung sie haben.«
»Dann schlage ich vor, wir fragen den Gålran Zhadar, damit du zufrieden bist und mich nicht länger mit deinen Fragen langweilst«, schnarrte Sinthoras. Wieder musste er aufpassen, seiner Wut nicht nachzugeben. Sie war fast immer da, diese Wut, und sie richtete sich auf den Alb mit dem Bogen und den fehlenden Eigenschaften, die einen wahren Krieger ausmachten. Stellvertretend für alle
Gestirne
verabscheute er Caphalor und musste doch mit ihm reisen, obwohl er ein Schwächling war und von einem Baum aus seine Pfeile verschoss, anstatt den Scheusalen im Nahkampf zu beweisen, dass sie Abschaum und nichtswürdig waren.
Seinetwegen hatte er sich sogar in einem Anflug von Zorn dazu hinreißen lassen, Raleeha zu verschenken. Es hatte ihn so gewurmt, dass sie Caphalor alle möglichen Fragen stellte. Eine törichte Tat, die er jedoch nicht mehr rückgängig machen konnte, denn ansonsten würde es ihn seinen Stolz kosten. Aber da Caphalor sowieso nicht lebend nach Dsôn zurückkehren würde, verschwendete Sinthoras keinen weiteren Gedanken mehr daran, oder zumindest versuchte er es. Leicht fiel es ihm nicht.
»Ja, fragen wir den Gålran Zhadar«, stimmte ihm Caphalor zu und klang, als denke er allen Ernstes darüber nach, die Gegenstände nicht auszuhändigen, wenn ihnen besondere
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