Legenden der Traumzeit Roman
James sich anders entschieden hätte. Aber er hatte sich allen Versuchen widersetzt, mit denen sie ihm seine Dummheit ausreden wollte. Wenn der Goldrausch zuschlug, dann mit Gewalt.
Nachdem die Maultiere beladen waren, nahmen die Männer die Zügel in die Hand und stiegen auf. James warf ihr eine Kusshand zu. »Ich komme so bald wie möglich wieder«, rief er. »Wünsch mir Glück!« Ohne auf eine Antwort zu warten, trieb er das Pferd an.
Ruby trat von der Tür in die verlassene Lichtung hinaus und blickte ihnen nach, bis sie außer Sichtweite waren. Noch nie hatte sie sich so einsam gefühlt und sich so vor der Zukunft gefürchtet. Während ihre Tränen sich mit dem Regen vermischten, starrte sie in den bleiernen Himmel und betete um Mut.
Mit dem Regen schien ein Wispern zu kommen, und als das Gras in der Brise wie unter unsichtbaren Tritten wogte, wusste sie, dass sie nicht allein war.
Ruby wischte sich die Tränen ab. Der Regen erschien ihr nicht mehr so kalt, die Zukunft weniger düster, denn die Liebe ihrer Großmutter war warm und belebend. In dem Wissen, dass Nell immer bei ihr sein würde, begab sie sich auf die Suche nach Kumali.
Lawrence Creek, Hunter Valley, September 1851
Jessie entspannte den schmerzenden Rücken und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. Der Kupferkessel blubberte auf dem lodernden Feuer, durch den Dampf war er kaum zu sehen. Das Wetter half auch nicht, denn es war ungewöhnlich warm für September, und als sie die Laken mit dem langen Holzstab eintauchte, fühlte sie sich durch ihr Winterkleid eingeschränkt.
»Sie sollten sich ausruhen, Miss Searle.«
»Ich werde mich ausruhen, wenn wir diese Masernepidemie besiegt haben«, erwiderte sie. »Aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dieses Laken durch die Mangel drehen würden.«
Der Pfarrer mittleren Alters beeilte sich, das Laken in den Blechzuber zu bringen, und Jessie lächelte ihm durch den Dampf zu. Peter Ripley war tatsächlich das genaue Gegenteil von Zephaniah Lawrence – nicht nur in seiner fröhlichen Erscheinung, sondern in seiner echten Nächstenliebe und seiner Besorgnis um die Eingeborenen. Und diese Sorge war auf dem Prüfstand, seit die Masern durch das Tal fegten und unter den Schwarzen verheerend wüteten.
Sie alle hatten kaum Ruhepausen, und als die Wochen ins Land zogen und die Todesfälle in den Eingeborenenlagern zunahmen, war sie Zeugin geworden, wie sehr ihn der Verlust eines Lebens wirklich schmerzte und wie unermüdlich er an seinem Glauben festhielt. Wenn er sie nur dazu bekäme, ihm zu vertrauen, dann könnte er ihre elenden Lebensumstände verändern.
»Wo ist Hilda?«
Jessie kämpfte mit dem letzten Laken. »Sie ist mit Hühnersuppe und frischem Brot für das Eingeborenenlager zu Abels früherer Wohnstatt hinübergegangen. Tumbalongs kleiner Junge ist noch sehr schwach, aber es sieht so aus, als würde er durchkommen.«
Peter Ripley zog das dampfende Laken durch die Mangel und ließ es in den Badezuber fallen. »Gott sei Dank!«, sagte er inbrünstig. »Der arme Mann hat drei Kinder, eine Tante und seine Großeltern verloren, und obwohl er gute Miene zum bösen Spiel macht, weiß ich, dass er leidet.«
»Es ist irgendwie ungerecht, dass unsere Kinder sich so schnell von diesen Krankheiten erholen, während die Eingeborenen offenbar kaum damit fertig werden.«
Peter trug den schweren Blechzuber an die Wäscheleine.»Ich habe mit meinem Vater korrespondiert. Er ist Mediziner und interessiert sich sehr für die Auswirkungen unserer bekannten Krankheiten auf die einheimische Bevölkerung. Seine Theorie ist, dass sie solchen Dingen nie ausgesetzt waren und daher keine Abwehr haben. Er vergleicht das mit den Weißen, die immer wieder an Malariaanfällen in Afrika leiden, wohingegen die Eingeborenen dort anscheinend immun gegen die Moskitos sind.«
»Ich weiß nur, dass wir zu viele verloren haben«, sagte sie seufzend, »und Abel wird schockiert und traurig darüber sein, was er vorfindet, wenn er zurückkommt.«
»Sie glauben also immer noch daran?«
Jessie steckte die feuchten Haarsträhnen wieder in den unordentlichen Knoten und versuchte sich den Anschein von Würde zu geben, als eine Woge des Verlangens sie durchströmte. »Die Hoffnung stirbt nie.«
»In der Tat, aber man muss sich vor falscher Hoffnung hüten und den Mut haben, der Realität ins Auge zu schauen, Miss Searle.«
Sie vernahm die Güte in seiner Stimme und wusste, dass er nur versuchte, sie zur Vernunft zu bringen.
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