Legenden der Traumzeit Roman
»Du kannst immer noch schmeicheln und glaubst, dass du dir alles erlauben kannst, solange du lächelst und die Augen blitzen lässt. Du hast dich kein bisschen verändert.«
»Das nehme ich als Kompliment.« Er zog seinen ramponierten Hut und verneigte sich. »Nachdem wir jetzt alle Feindseligkeiten begraben haben, willst du mich denn nicht mit einer Tasse Tee und etwas zu essen willkommen heißen, wie es sich gehört? Ich habe einen schrecklichen Weg hinter mir und könnte ein Pferd verspeisen.«
»Du kriegst Hammelfleisch und musst dich damit begnügen«, murrte sie. Da sie nicht länger widerstehen konnte, schlang sie einen Arm um seine Taille und drückte ihn. »Oh, Finn«, seufztesie, »du bist eine absolute Nervensäge, aber ich bin so froh, dich zu sehen!«
»Das beruht auf Gegenseitigkeit, Ruby. Es ist so lange her. Aber würde es dir etwas ausmachen, deine Stiefel nicht in meine Rippen zu bohren? Ich habe für heute Nacht genug gelitten.«
Sie merkte, dass ihr Bündel zwischen ihnen zerquetscht wurde, und zog sich zurück. »Ich hatte ja keine Ahnung, dass du so zartfühlend bist«, spottete sie.
Er rieb sich die Magengrube und verzog das Gesicht. »Nur wenn ich Hunger habe. Können wir jetzt essen?«
»Du bist genauso schlimm wie meine Kinder«, sagte sie liebevoll. »Ich will mich erst anziehen. Dann versorge ich dich, und du kannst mir erzählen, warum du hier bist, und das Neueste von zu Hause berichten.«
Sie schnitt das kalte Hammelfleisch in Scheiben, die sie mit Roter Bete, Tomaten aus dem Garten und ein paar rasch gebratenen Kartoffeln auf einem Teller anrichtete. Finn erzählte ihr beim Essen die Neuigkeiten von ihrer Familie, und seine phantasievollen Schilderungen malten Geburtstagsfeiern, Weihnachten und die Hochzeiten zweier entfernter Vettern in so schillernden Farben aus, dass Ruby das Gefühl hatte, selbst dabei gewesen zu sein.
Ein großer Becher Tee und jede Menge Buschbrot füllten alle noch verbliebenen Löcher. Schließlich wischte er sich mit dem Handrücken den Mund ab und entspannte sich. »Das ist schon besser«, murmelte er und stopfte sich eine Pfeife.
»Das will ich meinen. Du hast für zwei gegessen.«
Er überhörte ihren Seitenhieb und paffte genüsslich seine Pfeife, lehnte sich auf dem Stuhl zurück und schaute auf die Spiegelung des Mondes im Fluss.
Trotz ihrer Bemerkung hatte Ruby ihm gern beim Essen zugeschaut. Es war schön, ihn nach so vielen Jahren wiederzusehen, und während sie in einvernehmlichem Schweigen dasaßen, nutztesie die Gelegenheit, ihn eingehender zu betrachten. Finn war ihrer Schätzung nach zweiunddreißig – sah noch immer gut aus, besaß noch immer viel Charme und hatte die festen Muskeln und tüchtigen Hände eines Mannes, der schwere Arbeit gewohnt war. Seine schwarzen Haare waren dicht und lockig, die Wimpern dunkel, die blauen Augen schelmisch wie eh und je, und die Furchen in den Winkeln zeugten beredt von seinem Humor und von vielen Stunden in der Sonne.
Kein Wunder, dass ich mich damals in ihn verliebt habe, überlegte sie. Lächelnd dachte sie daran, wie sie ihn geplagt hatte, mit ihr zu spielen und sie herumzutragen, wie bewundernd sie zu ihm aufgeschaut und sich gewünscht hatte, er würde sie zur Kenntnis nehmen, wie geduldig er mit dem kleinen, zehn Jahre jüngeren Mädchen gewesen war, das er zweifellos als Fluch betrachtet hatte.
»Was ist so lustig?«
»Nichts.« Er hob eine dunkle Augenbraue, und als sie merkte, dass er es nicht auf sich beruhen lassen würde, beschloss sie zu flunkern – sein Selbstbewusstsein war ausgeprägt genug. »Ich dachte gerade daran, wie du mit Grandma Nell an ihrem letzten Geburtstag getanzt hast«, sagte sie. »Du hast sie an Grandpa Billy erinnert, weißt du, und ich bin froh, dass sie Gelegenheit hatte zu tanzen, bevor sie …«
Seine Hand legte sich warm über ihre Finger. »Ich habe sie auch geliebt«, sagte er leise, »aber ich habe mich immer gefragt, ob sie nicht noch eine Weile gelebt hätte, wenn dieser Walzer nicht gewesen wäre.«
Ruby mochte das Gefühl, seine Hand zu spüren, die Kraft in den schwieligen Fingern und die Zuneigung, die diese einfache Geste ihr vermittelte. »Das hat sie sich gewünscht«, flüsterte sie, »und obwohl ich sie nicht mehr sehen durfte, nachdem sie gestorben war, habe ich immer geglaubt, dass sie mit einem Lächeln auf den Lippen von uns gegangen ist.«
Finn drückte ihre Hand und sah Ruby verständnisvoll an. Dann ließ er sie los und vergrub
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