Legenden der Traumzeit Roman
werden Ihrer Bitte entsprechen«, erwiderte er, »aber ich bezweifle, dass wir ihn in nächster Zeit sehen werden. Er ist ins Barossa Valley aufgebrochen, um sich neue Schösslinge zu beschaffen.«
Jessie war über alle Maßen erleichtert, denn trotz ihrer Worte wusste sie, es wäre peinlich, ihm wieder zu begegnen. »Dann wollen wir hoffen, dass seine Reise gewinnbringend ist«, sagte sie ohne Groll. »Können wir jetzt bitte essen? Ich sterbe vor Hunger.«
Dreizehn
Eden Valley, Oktober 1852
R uby stapelte gemeinsam mit den anderen die kostbaren Wollballen auf den Wagen. Duncan hatte zu einer Schur im Frühling geraten, damit sie ein Jahr lang von den Wollschecks profitieren konnten, und sein Rat hatte sich offenbar ausgezahlt. Die Schafe waren im australischen Winter auf der Weide gewesen, und ihre Wolle war dicht geworden. Im Herbst würden ihre Felle erneut reif sein für die Schur.
Sie wischte sich den Schweiß aus den Augen. Es war schon heiß, der wolkenlose Himmel versprach keinen Regen. »Wie gut, dass wir den Winter über keine Tiere auf die nördlichen Weiden gelassen haben«, sagte sie zu Finn, der neben ihr arbeitete. »Sonst könnte uns im Sommer das Gras knapp werden.«
Er trank einen Schluck aus dem ledernen Wasserschlauch und trocknete sich mit dem Handrücken den Mund ab. »Wir müssen so schnell wie möglich Heu machen und den unerwünschten Bestand loswerden. Die Frühlingslämmer kommen schon, und wenn wir einen harten Sommer haben, werden wir nicht in der Lage sein, sie zu füttern und zu tränken.«
Ruby packte den schweren Ballen und warf ihn mit Schwung Tommy zu, der auf dem Wagen hockte. »Duncan hat schon begonnen, sie von der Herde zu trennen«, sagte er. »Wir werden sie gegen Ende der Woche zum Schlachthof nach Nine Mile Creek treiben können.«
»Eine Schande, dass wir nicht genügend Arbeitskräfte haben, um sie direkt zu den Minenlagern zu bringen. Ich sehe keinenSinn darin, von den Gewinnen einen Treiber und Schlachter zu bezahlen.«
»Wir werden trotzdem genug verdienen«, murmelte sie und hievte den nächsten Ballen hoch. »Du weißt doch, ich kann es mir nicht leisten, wochenlang auf jemanden zu verzichten – besonders zur Lammzeit.«
Schweigend arbeiteten sie weiter, und Ruby hielt den Blick fest auf ihre Arbeit gerichtet, obwohl sie kaum der Versuchung widerstehen konnte, zu beobachten, wie sich die Muskeln seiner sonnengebräunten Arme zusammenzogen. Noch schwerer fiel ihr, ihn nicht anzusehen, wenn er sprach. Doch sie musste standhaft bleiben, denn Finn durfte niemals ihre wahren Empfindungen erraten.
Was für ein zerbrechliches, kostbares Ding die Liebe doch ist!, überlegte sie. Und dennoch, zu welcher Last wird sie, wenn man sie jemandem anvertraut in der Hoffnung, er schätze sie. Sie hatte ihre Liebe James geschenkt, aber der hatte sie fallenlassen; jetzt war sie erneut überwältigt von der Schwärmerei, die sie Finn schon als Mädchen entgegengebracht hatte, aber Ruby hatte Angst, es sich einzugestehen.
»Da kommen Reiter!«, rief Tommy.
Ruby half Kumali, auf die Schnelle die Kinder zusammenzutreiben, denn sie hörten donnernden Hufschlag, der sehr schnell näher kam. Sie setzte Nathaniel auf ihre Hüfte, nahm Violet an die Hand und wartete. Die Vorstellung, es könne James sein, weckte gemischte Gefühle in ihr. In den ersten Monaten hatte sie sich nach seiner Rückkehr gesehnt, aber jetzt? Jetzt wusste sie nicht, was sie denken oder fühlen sollte. Wie hieß man jemanden willkommen, der einen verlassen hatte und im Grunde genommen ein Fremder war? Wie sollte sie ihn lächelnd in Empfang nehmen, nachdem er nicht den leisesten Wunsch gezeigt hatte, Kontakt mit ihr aufzunehmen oder über das Wohlergehen seiner Frau und seiner Kinder nachzudenken? Und wie sollte sie ihm indie Augen schauen, wenn der Mann, den sie wirklich liebte, an ihrer Seite stand?
Als habe Finn ihre Gedanken gelesen, drückte er ihr tröstend die Hand. Ruby war dankbar für seine Besorgnis, wagte aber nicht, ihn anzusehen, denn sie wusste, ihre Augen konnten nicht lügen.
Der Reiter hielt das Pferd so abrupt an, dass es mit den rutschenden Hufen eine Staubwolke aufwirbelte, die sich erstickend auf die Atemwege legte. Er sprang aus dem Sattel und schritt auf Ruby zu.
»Fergal?« Die Erleichterung war groß.
»Guten Tag, Missus. Tut mir leid, dass wir so lange weg waren, aber ich habe gehofft, dass ich vielleicht meine alte Arbeitsstelle wieder antreten könnte.« Sein Blick schoss
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