Legenden der Traumzeit Roman
straffte die Schultern, als wolle er es abwehren. »Wohlstand ist eine wunderbare Sache, Miss Searle, denn jetzt kann ich schreiben und lesen. Ich habe Unterricht bei einem pensionierten Englischlehrer im Rheintal genommen.«
»Sie waren in Deutschland?«
Er lächelte. »Ich habe einen Winzer in Sydney kennengelernt, einen Deutschen, der nach Hause zurückkehrte, um Vorkehrungen zu treffen, seine Familie zu ihm nach Barossa zu holen. Wir sind zusammen gereist, und ich habe fast ein Jahr bei ihnen gelebt. Bis er das Haus verkauft hatte, verfügte ich nicht nur über eine anständige Ausbildung im Schreiben, sondern auch im Weingeschäft. Ich war bereit, wieder nach Hause zu kommen und von vorn anzufangen.«
Jessie blieb stumm. Ihre Gedanken überschlugen sich.
»Mir ist klar, dass Sie der Meinung sind, ich hätte Tumbalong und meine Verantwortlichkeiten im Stich gelassen«, sagte er, »aber glauben Sie mir, Miss Searle, in Gedanken war ich immer hier – bei Ihnen.«
Sein Blick ruhte unverwandt auf ihr, und ihr Herz klopfte hoffnungsvoll. »Tatsächlich?«
Er nickte. »Ich habe die Erinnerung an den Tag, den wir bei mir verbracht haben, überall mit hingenommen, wo ich auch war.«
»Ach ja?« Das Atmen fiel ihr plötzlich schwer.
»Ja.«
»Oh, Mr. Cruickshank«, seufzte sie, »warum haben Sie mir das nicht früher gesagt?«
»Weil ich Ihnen nichts zu bieten hatte, und Mr. Lawrence schien fest entschlossen zu sein, dafür zu sorgen, dass wir nicht zueinander finden.« Er trat einen Schritt auf sie zu. »Wie ich hörte, ist von Schmidt kein Freier mehr, aber Sie haben einen neuen Arbeitgeber, und ich sehe, er ist ein feiner Mann, ein bisschen zu alt vielleicht, aber gebildet.« Sein Blick streifte durch den gemütlichen Raum und bemerkte das Hemd, das sie gerade flickte. »Der wäre eine geeignete Partie für Sie.«
»Peter Ridley genügt es, mit seiner Kirche und der Missionarsarbeit verheiratet zu sein. Eine Situation, die uns beiden entgegenkommt.«
»Dann sagen Sie mir, dass ich nicht zu spät komme, Miss Searle.«
»Wofür nicht zu spät, Mr. Cruickshank?«
Er zögerte, bevor er noch einen Schritt auf sie zutrat. »Die Erlaubnis zu erbitten, um Ihre Hand anzuhalten, Miss Searle.«
Sie stand auf und glättete mit zitternden Händen die Falten ihres Rocks, und als sie in seine Augen aufschaute, wusste sie, dass sie nicht länger widerstehen konnte. »Sie haben meine Erlaubnis, Mr. Cruickshank«, flüsterte sie.
Er ergriff ihre Hand und zog sie näher zu sich. »Dann darf ich Sie küssen, Miss Searle?«
»Ja.« Ihr Seufzer wurde von der weichen Berührung seiner Lippen abgeschnitten, und ihr war, als sei die Welt aus den Angeln geraten und habe sie zu den Sternen hinaufgeschleudert. Sie schloss die Augen. Ihr gesamtes Wesen war in diesem einzigen Moment freudiger Erregung eingeschlossen, und als seine Arme sich fest um sie schlossen und sie sich an ihn klammerte, hatte sie keinen Gedanken mehr, sie spürte nur noch seine Lippen, seine Hände, seine Brust, die sich an die ihre drückte. Ihr Glaube an seine Rückkehr hatte sich bewahrheitet, sein Kuss weckte Empfindungen, die sie noch nie erlebt hatte, und sie wusste in diesem Augenblick, dass es Liebe war – wahre Liebe.
Lawrence Creek, Hunter Valley, Oktober 1853
Jessie sang, als sie draußen Wäsche aufhängte, die Gedanken vor Glück benebelt. Sie hörte einen Reiter kommen, und da war er – den Hut gegen die Sonne tief ins Gesicht gezogen, das Lächeln warmherzig und atemberaubend wie immer. »Hallo. Was machst du hier zu dieser Morgenstunde?«
Er schwang sich aus dem Sattel. »Das nenne ich nicht gerade eine Begrüßung, nachdem ich dich einen ganzen Tag lang nicht gesehen habe«, beklagte er sich. »Ich habe wenigstens einen Kuss erwartet.«
Kichernd sank sie in seine Arme. »Wie gut, dass heute keine Schule ist«, sagte sie viel später, sonst hätten wir ein sehr interessiertes Publikum gehabt.«
»O Jess, meine Liebste, mein geliebter Schatz«, murmelte er in ihr Haar.
Sie zog sich zurück und schaute ihm in die Augen. »Liebst du mich wirklich, Abel?«
»Seit dem Augenblick, als ich dich zum ersten Mal sah.« Seine Lippen strichen über ihre Wange und fingen ihren Mund in einer langen, süßen Bestätigung ein.
Jessie ertrank im Glück. Sie wünschte sich, der Kuss würde ewig dauern, wollte seine Arme um sich spüren und wissen, dass er nie wieder fortgehen würde, denn das war ihr Traum – ihr Herzenswunsch.
Schließlich
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