Legenden der Traumzeit Roman
voller Bücher schweifen, dem früheren Salon ihrer Mutter. Er stellte fest, dass nichts mehr von ihr darin war – nicht einmal die Erinnerung an ihr Parfüm. »Wenn ich an all die Verheißungen denke … Sie könnte noch immer so schön sein, wenn sie auf sich achten würde. Es würde Mama das Herz brechen.«
»Deshalb fühle ich mich verpflichtet, mich um sie zu kümmern. Aber ich finde es zunehmend schwer, Amelia zu besänftigen. Die beiden stimmen nicht überein, und das sorgt für hitzige Momente.«
Harry betrachtete seinen Bruder, sah die hängenden Schultern und die tiefen Furchen um seine Augen, und ihm wurde klar, dass Oliver trotz seines Wohlstands wenig Zufriedenheit empfand. Er klopfte seinem Bruder tröstend auf die Schulter und begab sich auf die Suche nach seiner geliebten Lavinia.
Fiebernd vor Ungeduld, lag Freddy im Bett und wartete, dass es im Haus still wurde. Die Erwachsenen waren noch lange nach dem Essen sitzen geblieben, und eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis sie die Treppe hinaufkamen und die Türen zu ihren Schlafräumen ins Schloss fielen. Als die Standuhr in der Diele Mitternacht schlug, hielt er es für sicher genug. Nachdem er sich den Morgenrock und Pantoffeln übergezogen hatte, zündete er eine Kerze an und öffnete die Tür.
Zu wissen, dass Gertrude noch wach sein und aufmerksam auf jedes Geräusch lauschen könnte, ließ sein Herz höher schlagen. Sie mochte keine Jungen – vor allem, wenn sie nachts herumschlichen –, und er wollte nicht wieder schmerzhaft ins Ohr gezwickt werden, doch alles blieb still. Vorsichtig schirmte er die Kerze vor der Zugluft ab und schlich auf Zehenspitzen über den schmalen Treppenabsatz. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, Charlie von dem Schatz zu erzählen, denn sein Vetter gefiel ihm, aber da er nur wenig Gelegenheit gehabt hatte, seinen Fund genauer in Augenschein zu nehmen, hatte er beschlossen, Charlie nicht daran teilhaben zu lassen.
Die Speichertreppe war hinter einer Tür am Ende des Korridors versteckt und führte steil nach oben ins nicht mehr benutzte Kinderzimmer. Seine Pantoffeln machten nur wenig Geräusche auf den Holzstufen, doch als er die letzte Tür aufschob und hinter sich schloss, merkte er, dass er die Luft angehalten hatte.
Das Zimmer enthielt noch immer Andenken an seine Kindheit: Das Schaukelpferd setzte in der Ecke Staub an, Stühlchen und Tischchen waren neben Kisten mit Spielzeug und Büchern gestapelt; Truhen und Koffer waren überall verstreut. Der Inhalt hatte ihm viele Stunden der Erforschung geschenkt, wenn das Wetter unfreundlich war oder er sich vor Tante Gertrude versteckte.
Freddy stellte die Kerze fest auf einen Teller und schaute sich um. Der Speicher wirkte im flackernden Schein noch geheimnisvoller, und obwohl er keine Angst vor Schatten hatte und nicht an Gespenster glaubte, war ihm der riesige Schornstein unheimlich. Er unterdrückte die Furcht und richtete seine Aufmerksamkeit auf das Geheimfach. Es glitt mit lautem Klicken auf, und Freddy warf einen Blick über die Schulter, denn er war sich sicher, dass es jemand gehört haben musste. Aber die erdrückende Stille hielt an. Er holte die Kerze näher heran und fischte den Schatz heraus.
»Sieh an, wie aufregend!«
Freddy stieß sich den Kopf an, als er herumwirbelte. Charlie stand dicht hinter ihm. »Du solltest dich nicht so anschleichen«, zischte er.
»Tut mir leid.« Charlie wirkte keineswegs bußfertig und kniete sich neben ihn. »Ich konnte nicht schlafen, und als ich gehört habe, dass du dein Zimmer verlässt, bin ich dir gefolgt.«
Freddy wollte ihn schon belehren, er habe nicht das Recht, heimlich Leuten zu folgen, doch ihm wurde klar, dass das ziemlich unhöflich wäre. »Du darfst nur bleiben, wenn du schwörst, das hier geheim zu halten«, flüsterte er.
»Ich schwöre, ich werde es niemandem verraten.« Charlies Augen leuchteten vor Aufregung.
»Hand aufs Herz?«
Charlie nickte und führte die entsprechende Geste aus.
»Dann spuck, und Hand drauf!«, befahl Freddy.
Ein nasser Händedruck wurde ausgetauscht, dann wischten sie die Handflächen rasch an den Morgenmänteln ab.
»Komm schon, Freddy, lass mich sehen, was du gefunden hast!«
»Nichts anfassen – erst wenn ich es sage«, wies Freddy ihn an. Als Einzelkind hatte er sich daran gewöhnt, seinen Kopf durchzusetzen, und er war nicht bereit, dieses Recht abzutreten, auch wenn Charlie ein Gast und zwei Jahre älter war als er.
Zögernd machte Freddy seinem Vetter
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