Legenden der Traumzeit Roman
konnte. »Vielen Dank, Sir«, sagte sie und versuchte den Lärm zu übertönen. »Es wäre mir eine Freude.«
»Die Freude ist ganz meinerseits, Miss Searle.«
Seine blauen Augen schauten sie mit einer Eindringlichkeit an, die sie als recht beunruhigend empfand, und als das Stück zu Ende war, knickste sie. »Ich muss mich ausruhen«, sagte sie atemlos.
Er hielt ihre Hand fest. »Ich bin entzückt, dass Sie in das Tal gekommen sind«, sagte er und führte sie von der Tanzfläche. »Meine Mutter hat Sie sofort in ihr Herz geschlossen.« Er lächelte. »Ich auch.«
»Danke«, erwiderte sie, wobei ihr Blick auf der Suche nach Abel durch den Raum irrte.
Er schlug die Hacken zusammen und hauchte einen Kuss über ihre behandschuhte Hand.
»Jetzt reicht es aber«, polterte Mr. Lawrence, der Jessie grob am Arm packte. »Gehen Sie Ihren Pflichten nach, Miss Searle.«
Gerhardt stellte sich mit eiskaltem Blick zwischen die beiden. »Sie scheinen sich zu vergessen, Mr. Lawrence. Sie haben nicht das Recht, die Dame derart grob zu behandeln.«
»Grob behandeln?« Zephaniah Lawrence blieb die Luft weg, und es klang, als würge man ihn. »Miss Searle ist meine Angestellte, und es ist ihr strikt untersagt, sich so liederlich zu benehmen – auch wenn es mit ihrem Gastgeber ist.«
»Tanzen ist nicht liederlich«, entgegnete Gerhardt. »Es ist nur eine Art, Spaß zu haben und Menschen kennenzulernen.«
»Nicht, wenn sie weiterhin bei mir beschäftigt sein will, Sir. Kommen Sie, Miss Searle, Sie werden für den Rest des Abends neben mir sitzen!«
»Meine Mutter hat ausdrücklich darum gebeten, dass Miss Searle uns beim Abendessen Gesellschaft leistet.« Gerhardt wandte sich an Jessie. »Ich hole Sie in einer Stunde.«
»Ein schändliches Betragen!«, zischte Mr. Lawrence und packte erneut ihren Arm. »Ich hätte wissen müssen, dass Sie für den Posten ungeeignet sind, und ich werde es der Verwaltung ungeschminkt mitteilen.«
Jessie funkelte ihn an. »Lassen Sie mich los, Sir!«
Er wurde rot, sein Monokel fiel herab und baumelte am Band.
Nachdem sie von seinem Griff befreit war, spürte Jessie, wie die Hitze sie durchströmte, als ihr klar wurde, dass alle diese erbärmliche kleine Szene mitbekommen hatten. Sie überquerte die Tanzfläche mit aller Würde, die sie aufzubringen vermochte, und beschloss, der Kirchenverwaltung ebenfalls zu schreiben und Stellung zu beziehen. Sie verkroch sich in die dunkelste Ecke und suchte nach Abel.
»Er ist nach Hause gegangen«, sagte Hilda, setzte sich neben sie und tupfte sich die Stirn. »Ich nehme an, ihm war klar, dass er gegen unseren Gastgeber nicht ankommt.« Sie tätschelte Jessies Hand. »Mach dir nichts draus, Herzchen! Gerhardt ist auf jeden Fall der bessere Fang, und er hat sich ganz offensichtlich verliebt.«
Jessie versuchte, souverän über Hildas Worte hinwegzugehen, doch der Gedanke, dass Abel das Fest verlassen hatte, weil er irrtümlich annahm, sie habe sich von ihrem Gastgeber den Kopf verdrehen lassen, verstärkte ihre Enttäuschung. Es war ein Abend der verpassten Gelegenheit gewesen, und als Gerhardtkurz darauf die Tanzfläche überquerte, um sie zu holen, wünschte sie sich unwillkürlich, es wäre Abel, dem sie beim Essen Gesellschaft leisten würde.
Jenseits der Blue Mountains, Dezember 1849
»Da ist es«, sagte James, nahm den Hut ab und blinzelte in die Sonne.
Begeistert schaute Ruby auf die ausgedehnten Weiden, die wogenden Hügel, mäandernden Bäche und die schattenspendenden Bäume. Das Gras wogte in der leichten Brise. Der Himmel war strahlend blau, die Sonne vergoldete die Wipfel. »Ein Garten Eden«, hauchte sie.
»Dann werden wir es auch so nennen«, sagte James. »Eden Valley.«
»Das gefällt mir«, stimmte sie ihm zu. »Oder Edenvale? Ist nicht ganz so lang.«
Missmutig drückte James sich den Hut wieder auf den Kopf. »Dein Vater hat dafür bezahlt, vermutlich solltest du dem Anwesen von Rechts wegen einen Namen geben. Mich wundert nur, dass du es nicht Rubyvale nennen willst oder Niallvale oder irisch, etwa Donnyvale.«
Ruby nagte an ihrer Unterlippe. Sie hatte den Spott vernommen. Ihr war nicht klar gewesen, dass das Geschenk ihres Vaters ein Stein des Anstoßes war, denn bisher hatten sie kaum über die Besitzverhältnisse gesprochen. Sie sah ihren Mann schief an und wollte nicht glauben, dass er so aufbrausend und launisch sein konnte. Sein Verhalten hatte sich nach dem Verlust der Pferde und Vorräte verändert, und nach dem
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