Legenden der Traumzeit Roman
seinen Absichten und versuchte, ihren Arm freizubekommen. »Mit Ruby«, plapperte sie.
»Nein, Mädchen«, sagte er bestimmt, ohne den Griff zu lockern. »Ruby ist James’ Frau, und sie brauchen Zeit für sich allein.«
Schließlich begriff Kumali. Sie schaute zu dem Schotten auf, fand seinen Ausdruck nicht bedrohlich und stellte zum ersten Mal fest, dass er nicht hässlich und grimmig war, sondern der Bart wahrscheinlich ein ziemlich junges Gesicht verdeckte. Erlöste den Griff, und Kumali entspannte sich. »Soll Kumali mit dir die Schafe zusammentreiben?«
»Ja, Mädchen«, sagte er leise, und seine Lippen umspielte ein seltenes Lächeln. »Ich lass dich die Schafe zusammentreiben, solange du nicht zu viel redest und tust, was ich dir sage.«
Kumali nickte. »Ich bleibe bei dir, bis die Missus zurückkommt.«
Duncan betrachtete sie nachdenklich und kratzte sich den Bart. »Ich glaube, es ist vielleicht besser, wenn du eine Weile bei mir bleibst und die Frischvermählten nicht belästigst.« Er musste gespürt haben, dass Kumali sich erneut anspannte, denn er beeilte sich hinzuzufügen: »Nur bis James und Ruby sich in ihrem Haus eingerichtet haben.«
»Bei dir?« Kumali war sich ganz und gar nicht sicher über diesen fremden Mann und was er von ihr wollte. »Nicht schlagen? Nicht bumsen?«
»Hm. Bumsen, also wirklich! Du bist doch noch ein Kind – für wen hältst du mich eigentlich?« Sein Ausdruck wurde milder. »Sieh mal, Kumali, ich bitte dich, mir mit den Schafen zu helfen, und biete dir einen Unterschlupf für die Nacht – mehr nicht. Ich werde dich nicht schlagen, dich nicht berühren, ja, nicht einmal mit dir sprechen, wenn dir das lieber ist. Hast du verstanden?«
Duncan, der Schäfer, war ein eigenartiger Mann, doch sie war nicht mehr auf der Hut vor ihm. »Kumali mit dir Schafe zusammentreiben.«
»Genau«, murmelte er. »Nachdem das jetzt geklärt ist, wollen wir die Tiere in einen Pferch bringen, bevor die Dingos sie schnappen. Komm, Mädchen, ich will dir zeigen, wie man die Stoffbahn spannt.«
Ruby kicherte, als James sie zwischen Bäumen hindurch den leichten Abhang der schützenden Bergkette hinaufführte. »Die wissen genau, was wir vorhaben.«
»Das ist mir egal«, sagte er, hob sie hoch und rannte mit ihr den steilsten Teil des Abhangs hinauf.
Ruby lachte, klammerte sich an seinen Hals und genoss seine Kraft und Entschlossenheit.
Keuchend erreichte er ein Plateau, das vor Blicken geschützt hinter Gummibäumen lag, und stellte sie wieder auf die Füße. Er schloss sie in die Arme, und als sein Pulsschlag sich beruhigt hatte, küsste er sie. »Das sind unsere Flitterwochen, erinnerst du dich?«
»Wie könnte ich das vergessen?« Sie spürte das Trommeln seines Herzens unter ihren Fingern und sein drängendes Verlangen, als er sie näher an sich zog. »Oh, James!«, seufzte sie. »Ich liebe dich so.«
Er küsste sie wieder, und seine Lippen weckten ihr Bedürfnis, ihn festzuhalten und von ihm gehalten zu werden – seine Hände auf ihrem Körper zu spüren, seine Haut an ihrer Haut. Sie sanken zu Boden und verloren sich in ihre eigene Welt, als sie sich vereinigten. Ihr Bett war eine Matratze aus Eukalyptusblättern, den verstreuten blutroten Blüten einer Waratah und Schachtelhalm, ihr Dach ein von Sternen übersäter Himmel. Dies war ihr Zuhause, und der Liebesakt, der sie aneinander und an diese Wildnis band, bedeutete Ruby mehr als jeder Edelstein.
Eden Valley, Neujahr 1850
Die Rindenhütte thronte auf dem breiten Plateau, das ein Drittel des Bergs einnahm. Ihr Gerüst bestand aus Eukalyptusbäumen, die sie gefällt hatten, dicke, sich überlappende Rindenstücke, die an die Senkrechten genagelt waren, dienten als Wände. Das Dach bestand aus Holzschindeln, die fest mit Ranken verbunden und grob mit getrocknetem Gras abgedichtet waren. Die hinterste Wand der Hütte wurde vom Berghang gebildet, in densie eine Höhle getrieben hatten; sie bot einen kühlen dunklen Vorratsraum für ihre kostbaren Vorräte, Korn und Saatgut. Ein Leinentuch diente als Tür, und primitive Fensterläden vor dem einzigen Fenster hielten Insekten fern.
Die Möbel waren eine Mischung aus grober Zimmermannsarbeit und Einzelstücken, die sie von zu Hause mitgebracht hatte. Die Steppdecke ihrer Großmutter Nell zierte das Bett, ihr Umhängetuch war über einen Stuhl drapiert, und an der Wand, aufgereiht auf Regalen, stand ihr kostbares Porzellan, das die lange Reise unbeschadet überstanden hatte.
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