Legionen des Todes: Roman
sie, wie der bedrohliche schwarze Wolkenkratzer vor ihnen immer größer wurde. Die Sonne dahinter erstrahlte immer heller und schien durch die zerschmetterten Fensterscheiben, was den Eindruck erweckte, als stünde er in Flammen. Die Farben des Morgens flossen über den Himmel und tauchten die wenigen Wolken in Rot- und Goldtöne, die allmählich das verblassende Blau der Nacht verdrängten.
Bald würde alles zu Ende sein. Auf die eine oder andere Weise, aber zumindest wäre es vorbei.
Im Moment war es Jill vollkommen egal, wie es enden würde. Die Schuld war unerträglich, das Gefühl des Verlustes ließ sie wie in Lähmung erstarren.… Sie hatte das Leben ihrer ungeborenen Tochter ihren beiden Leben vorgezogen, und jetzt war sie innerlich tot.
Würdest du alles für dieses Kind opfern?
Das hatte sie. Sie hatte ihre ganze Welt geopfert. Und vielleicht war nicht einmal das genug.
Sie fiel immer weiter zurück, aber selbst das spielte keine Rolle. Sollten sie sie abhängen. Sie hatte genug gegeben. Was konnte sie schon noch tun? Jeder, den sie geliebt hatte, war tot. Ihre Freunde. Ihre Familie. Mare. Sie war verflucht, und alles, was sie den anderen noch bringen konnte, waren Schmerz und Unglück. Tod.
Nein , dachte sie. Nicht alle sind tot . Sie trug immer noch das Kind in sich. Ihres und Mares. Und dieses Baby brauchte seine Mutter – bei Gott, noch nie hatte sie bei diesem Wort an sich selbst gedacht -, jetzt noch mehr, als das irgendwann in seinem Leben wieder der Fall sein würde. Doch dazu musste es erst noch zur Welt kommen, seinen ersten Atemzug machen, und damit das geschehen konnte, musste seine Mutter überleben. Das war die beste Art, um Mare zu ehren, ihm für ihr Leben zu danken: indem sie sein Kind zur Welt brachte.
Sie wischte sich die Tränen aus den Augen und beschleunigte. Sie wollte verdammt sein, wenn sie zuließ, dass sein Opfer umsonst war. Sie hatten ein Kind gezeugt, und das war das Einzige, was zählte. Ihre Gefühle waren reiner Luxus. Sie hatte ihre Tochter, an die sie denken musste, und sie würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, damit sie leben konnte.
Als sie Evelyn einholte, waren sie schon fast im Zentrum der Stadt, an einer Kreuzung von großen Durchgangsstraßen, deren Brücken eingestürzt waren und in einem chaotischen Trümmerhaufen übereinanderlagen. Auch Missy, die immer noch vorausfuhr, musste abbremsen, um die in steilen Winkeln aufragenden Trümmer der zerstörten Überführung umfahren zu können.
Die Stadt war mehr als zerstört, sie war vernichtet worden. Aus Gebäuden waren zerbröselte Beton- und Ziegelhaufen geworden, die sich mehrere Stockwerke hoch auftürmten und vom Epizentrum der Explosion wegneigten. Verdrehte Stahlträger ragten aus den durcheinandergewürfelten Überresten der Sportstadien; Wohnhäuser waren zu Staub zerblasen; der Untergrund war eingesunken, die Explosionszone ein Krater, die Erde geschwärzt von der Nukleardetonation und dem verheerenden Feuer; Staub und Asche wirbelten in Fontänen von ihren Hinterreifen auf; die Luft wurde von Minute zu Minute kühler, der Fahrtwind schlug ihnen entgegen wie ein eisig kalter Grabeshauch – ein angemessener Ort, um ihre Reise zu Ende zu bringen.
Adam versuchte, möglichst nahe an Missy dranzubleiben, aber mit Rays zusätzlichem Gewicht war das Motorrad äußerst unhandlich, und er konnte den Rissen im Asphalt und den herumliegenden Trümmern nicht so geschmeidig ausweichen wie sie. Als sie den Fluss erreichten, hatte Missy ihn bereits überquert. Sie war besessen. Ganz egal wie viel Gas er auch gab, er kämpfte auf verlorenem Posten. Er konnte nicht zulassen, dass sie den Turm allein erreichte. Das war reiner Selbstmord, und ihr Blut würde an seinen Händen kleben.
»Warte!«, brüllte er, aber sie drehte sich nicht einmal um. Sobald sie wieder ebenen Untergrund erreicht hatte, jagte sie davon, auf das gigantische schwarze Gebäude zu. »Missy! Warte!«
Sie konnten es sich nicht leisten, einfach so draufloszufahren. Sie mussten vorsichtig sein. Ein einziger Fehler konnte sie alle umbringen. Sie würden ihre vereinten Kräfte und all ihren Mut brauchen. Zusammen konnten sie es vielleicht schaffen, allein würden sie abgeschlachtet werden. Er blickte noch einmal zurück, bevor er auf die eingestürzte Brücke hinaus und in den darunterliegenden Fluss fuhr. Evelyn war nicht weit hinter ihnen, und er sah, wie Jakes wilde Haarpracht im Wind flatterte. Jill hatte inzwischen aufgeholt. Er
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