Legionen des Todes: Roman
einmal ihr kleiner Bruder gewesen war. Eigentlich hätte sie ihn beschützen müssen, doch stattdessen war es stets Mare gewesen, der sie beschützt hatte. Vor ihrem Vater. Vor Liebeskummer. Und jetzt vor dem Tod. Wimmernd stammelte sie seinen Namen, wieder und wieder. Nie wieder würde sie seine sarkastischen und oft peinlichen Witze hören. Nie wieder würde sie seine schiefe Nase sehen oder die Art, wie sich seine lächelnden Mundwinkel verzogen, wenn er einen Streich im Sinn hatte.
Ihr kleiner Bruder war tot. Das Kind, das ihre Hand gehalten hatte, als sie ihre Mutter begruben, der kleine Junge, der immer da gewesen war, wenn sie ihn brauchte, würde nicht mehr zurückkommen.
Ihr kleiner Bruder, ihr bester Freund in einer Welt, die alles darangesetzt hatte, das Leben aus ihnen herauszuprügeln, war tot.
Sie drehte sich um und begegnete Jills Blick. Tränenüberströmt fielen sie sich in die Arme.
Adam konnte es nicht länger ertragen hinzusehen. Es tat viel zu weh. Er fühlte sich, als wären ihm die Eingeweide herausgerissen worden. Auch er hatte Mare geliebt. Sein Opfer – und vor allem die Art und Weise, in der er sich geopfert hatte – war unglaublich. Um ihretwillen hatte er sich von allem losgesagt. Von allem, was er gehabt hatte, und von allem, das er eines Tages hätte sein können. Er hatte sein Leben für das ihre gegeben, und es gab nichts, mit dem sie dieses Geschenk jemals vergelten konnten. Sie konnten ihm nicht einmal die dafür gebührende Ehre erweisen. Während seines Einsatzes bei der Army hatte er viele Menschen auf diese entsetzliche Weise sterben sehen, aber niemals mit so viel Würde. Die Erkenntnis, dass er Mare niemals wiedersehen würde, stürzte ihn in die tiefsten Tiefen der Trauer, doch nach wie vor musste er stark sein. Er musste sich zusammenreißen und sie weiterhin anführen, bevor sie alle zerbrachen, ihn selbst eingeschlossen.
Die überwältigende Trauer der beiden Frauen brachte seinen Entschluss noch einmal ins Wanken, doch dann schob er sich an ihnen vorbei, schritt durch den Rauch, packte die Tür und rüttelte so lange daran, bis er sie zur Seite schieben konnte.
Ein Luftzug wie aus einem Leichenschauhaus schlug ihm entgegen, als er nach draußen ging zu der Stelle, an der er sein Motorrad hatte liegen lassen. Er öffnete den Gurt, mit dem er sein Gepäck festgezurrt hatte, zog die Decke von der Sitzbank und leerte die darin eingewickelten Gegenstände auf den Boden. Dann breitete er die Decke so gut es ging über den verkohlten Leichnam, um den verfluchten Rauch und die Flammen endlich zu ersticken.
»Danke, Mare«, sagte er und bemühte sich, die Tränen zurückzuhalten. »Wir werden dein Andenken und das Geschenk, das du uns gemacht hast, immer in Ehren halten.«
Evelyns Hand glitt in die seine. Adam drehte sich um und vergrub sein Gesicht an ihrem Hals. Weinend hielt er sich an ihr fest, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte.
»Ich liebe dich. Ich will, dass du das weißt. Ich kann es dir gar nicht oft genug sagen.«
»Ich liebe dich auch«, erwiderte sie. »Mit meinem ganzen Herzen.«
Ray konnte nur dastehen und versuchen, auf dem zerfetzten Beton nicht das Gleichgewicht zu verlieren, während er Jakes Hand hielt. Er war schlichtweg nicht in der Lage, die Konzentration aufrechtzuerhalten, die er brauchte, um sehen zu können, aber das brauchte er auch gar nicht, er wollte es nicht. Es gab keinen Zweifel über Mares Schicksal. Er konnte das verbrannte Fleisch deutlich riechen. Es war auch so schon schwer genug, nicht zusammenzubrechen. Hätte er den Schmerz und die Trauer auf den Gesichtern der anderen gesehen, wäre er sicher nicht in der Lage gewesen, das bisschen Kontrolle aufrechtzuerhalten, das er noch über seine Gefühle hatte. Für Jake musste er der Fels in der Brandung sein, auch wenn ihn die Anstrengung innerlich in Stücke riss.
Den Ausdruck auf Jakes Gesicht zu sehen hätte ihn wahrscheinlich am meisten belastet. Der Junge war merklich abwesend, sein Gesicht eine stoische Maske. Zwar standen Tränen in seinen Augen, doch in seinem Gesicht spiegelte sich nichts als Leere wider, durchzogen von einer seltsamen Beklommenheit, als wäre das Geschehene keine Überraschung für ihn gewesen, als hätte er es vorausgesehen.
»Wir müssen weiter«, sagte Ray und war dankbar, dass er die Reaktionen der anderen auf seine harten Worte nicht sehen konnte. »Phoenix ist immer noch irgendwo allein da draußen.«
Eine Weile lang bekam er keine
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