Lehmann, Christine
Schloss.
Stille!
Nina Habergeiß raffte den Morgenmantel über dem Busen. Ungebetene Helfer wurde man nur mit Erkläru n gen wieder los.
»Ich hab Migräne«, murmelte sie. »Ich musste heute Nacht eine Tablette nehmen. Deshalb habe ich heute früh den Wecker nicht gehört.«
So wollte ich mich aber nicht wegschicken lassen. »Das ist doch gelogen! Sie haben getrunken!«
Brillengläser blitzten mich an. »Wie reden Sie eigen t lich mit mir, Frau Nerz?«
»Wenn Sie Tobi behalten wollen, dann müssen wir den Tatsachen ins Auge sehen, Frau Habergeiß!«
»Wir?« Sie lachte entrüstet.
Ich schluckte. Jetzt nicht beleidigt sein! Und nicht Aber sagen! »Aber«, sagte ich, »Sie haben doch objektiv ein Problem. Das Jugendamt will Ihnen Tobias wegne h men. Und zwar weil Sie bereits die Anordnung missac h tet haben, den Jungen regelmäßig in den Kindergarten zu schicken. Und die kommen wieder!«
»Und was für ein Problem haben Sie?«
»Wie?«
Sie lächelte halb. »Sie mischen sich in fremde Ang e legenheiten ein. Sie drohen den Frauen vom Jugendamt Gewalt an. Natürlich kommen die wieder, mit Polizei und allem. Besser haben Sie es dadurch nicht gemacht. Und jetzt stehen Sie hier und erwarten, dass ich mich bedanke. Alle scheinen zu meinen, nur weil ich Hartz-IV-Empfänger bin, kriege ich nichts auf die Reihe. Alle wi s sen ganz genau, was ich tun und lassen muss. Würden Sie der Frau Matuschek von unten ins Gesicht sagen, dass sie Alkoholikerin ist?«
Okay. Nina hatte schon gestern früh nicht mit mir r e den wollen. Eigentlich hatte ich erwartet, dass sie später bei mir klingelte, um sich zu bedanken, sich mir anzuve r trauen und mit mir zusammen eine Strategie zu entw i ckeln. Aber ich hatte vergeblich gewartet.
»Dabei könnte ich Ihnen vermutlich sogar helfen«, versuchte ich mich aus der Psychokiste zu retten. »Ich meine, als Journalistin. Wenn ich Ihren Fall öffentlich machen würde …«
»Danke, ich melde mich dann schon, wenn ich das wünsche.«
»Warum wollen Sie nicht mit mir reden?«
»Warum können Sie uns nicht einfach in Ruhe lassen? Sie leben Ihr Leben und wir unseres.«
»Verdammt, Frau Habergeiß! Der Kühlschrank ist leer, es gibt kein Brot. Die Kinder brauchen Frühstück!«
»Gleich unten ist ein Bäcker!«
»Aber …«
»Wissen Sie was, Frau Nerz …«
»Lisa«, sagte ich und lächelte duzhaft.
Sie bemühte sich zu lächeln, brachte es aber kaum fer tig. »Frau Nerz, Sie führen sich auf wie die Familie n pflegerin vom Jugendamt. Die ging hier durch und sagte: Der Kühlschrank ist leer, die Waschmaschine ist zu alt, das Bad ist zu klein. Es fehle die Badewanne. Kinder müs s ten baden. Ich habe ihr erklärt, dass Tobias das nicht ve r trägt. Er hat Neurodermitis. Das hat sie als Ausrede abgetan. Der Junge sei gestresst, er brauche ein gerege l tes Familienleben und Erziehung zur Hygiene. Und wenn ich keine Badewanne einbauen lasse, dann … Von we l chem Geld?, habe ich sie gefragt. Tja, wenn ich meinen Ki n dern keine angemessene Versorgung gewährleisten könne, dann müsse man sich andere Lösungen überl e gen.«
»Tut mir leid«, sagte ich.
»Gewährleisten!« Die Frau zerkaute das Wort zw i schen den Zähnen. »Eine Sprache haben die drauf. En t weder sie reden mit einem, als wäre man ein kleines Kind, oder sie reden in hochgestochenem Amtsdeutsch. Dann sind sie böse. Dann wollen sie, dass man sich klein und dumm fühlt.«
Ungebildet jedenfalls klang Nina Habergeiß nicht, auch wenn ihr die Haare wie welker Schnittlauch auf die Schultern hingen. Da blieb mir nur noch der ehrenvolle Rückzug.
»Okay, Frau Habergeiß, dann …«
Cipión erhob sich und trabte in den Flur zur Tür.
»Dann lasse ich Sie in Ruhe. Aber …« Ich drehte mich in der Tür doch noch mal um. »Falls es am Geld hängt, ich meine, wenn Sie mal Geld brauchen …«
»Danke, Frau Nerz. Aber ich brauche keine Alm o sen!«
Da platzte mir der Kragen. »Was glauben Sie denn, was das ist, was Sie vom Staat nehmen? Das ist auch mein Geld! Ich zahle nämlich Steuern! Und damit Sie mich richtig verstehen, Frau Habergeiß, ich finde es vö l lig in Ordnung, dass wir Leute wie Sie durchfüttern, und ich finde auch, dass die Hartz-IV-Sätze zu niedrig sind. Aber Sie können froh und dankbar sein, dass dieses Geld ohne Ansehen der Person vergeben wird, denn wenn Sie es von mir persönlich bekommen würden, müssten Sie mich höflich und nett behandeln. Und ich würde täglich Dank von Ihnen verlangen, und
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