Lehmann, Christine
stehe, meinst du?« Ich musste lachen. »Und da dachte Butcher, ich würde mich an seine Yanqiu ranmachen? Nun ja, Gail dachte es auf jeden Fall. Sie hat das für sich gelöst, indem sie mich kurze r hand zu ihrem Mädchen gemacht hat. Damit war Yanqiu für mich tabu. Knastspiele.«
Abdul blickte moralisch verquält drein. »Wir würden nie eine schutzlose Frau irgendwohin schicken. Männer sind so verführbar. Wir stürzen uns aufeinander wie die Gockel im Hahnenkampf.«
Jetzt guckte ich etwas verquält. Frauen wegsperren war ja auch keine Lösung.
»Jedenfalls«, fuhr Abdul fort, »hat Leslie gemerkt, dass du vor nichts und niemandem Respekt hast und ke i nerlei Regeln akzeptierst. Vielleicht hat er auch gedacht, ihr würdet im Quartier Orgien feiern. Wir haben ja e i gentlich nur noch an das eine gedacht, du weißt schon. Jeder hatte damit irgendwie Probleme. Leslie muss sich bereits in einem Zustand von eingeschränkter Zurec h nungsfähigkeit befunden haben. Immerhin hatte er Tor s ten umgebracht. Und die Eifersucht ist ein grausamer Partner der Angst, alles zu verlieren. Womöglich dachte er sogar, du seist seinetwegen nach oben geschickt wo r den. Um ihn zu entlarven.«
Ich erinnerte mich plötzlich, wie unkompliziert Bu t cher meinen Mondspaziergang außer der Reihe gene h migt hatte und wie aufgeräumt er gewesen war, als feststand, dass meine Stunden auf der Artemis gezählt waren und dass ich sie dafür verwenden würde, Yanqiu zur Mörd e rin zu stempeln.
»Und du hast ihm geholfen, Abdul«, würgte ich. »Du hast mir geraten, das Naheliegende zu tun, als Teil eines großen Plans. Aber es war kein großer Plan, sondern e i ner der Enge, des Hasses, der Bosheit, Abdul!«
»Sonst wären wir jetzt alle tot«, flüsterte Abdul schwach.
Mir wurde flau. »Du hast gewusst, dass Butcher …«
»Leslie hat das Kugelfischgift aus Wims Giftschrank genommen und es mit einer Spritze in die Safttüten g e spritzt. Man hätte dann in der Cupola nur noch vergiftete Leichen gefunden …«
»Aber einige haben die Tüten nicht angerührt, daru n ter Leslie und … du!«
Abdul lächelte leise.
»Verdammt, Abdul! Ich hatte eine geladene Waffe in der Hand. Warum hast du nichts gesagt? Ich hätte sie auf Butcher richten können, und wir hätten ihn unschädlich gemacht.«
»Nein. Es wäre Meuterei gewesen. Du hättest Zippora, Wim und Artjom überzeugen müssen. Und wenn Artjom dich überwältigt hätte, dann wäre nichts gewonnen g e wesen.«
»Aber wenn du wusstest, dass der Saft vergiftet war …«
»Das wusste ich nicht. Woher denn? Nie hätte ich g e dacht, dass Leslie so weit gehen könnte. Ja, ich wusste, dass er die Erpressertexte verfasst hatte. Kleine Hinweise in der Wortwahl. Aber mir war nicht klar, wozu. Deshalb habe ich erst einmal behauptet, sie stammten von einem Übersetzungsprogramm. Sonst hätte Leslie mich genauso getötet wie Torsten. Aber die Tat konnte ich ihm nicht beweisen. Ich musste abwarten. Hätte ich meinen Ve r dacht offen ausgesprochen, hätte ich die halbe Crew g e gen mich gehabt oder wäre ganz isoliert gewesen, so wie Torsten. So eine Kriegserklärung überlebt man nur, wenn man alle überzeugen kann. Solange wir uns nicht einig waren, waren wir dem Kommandanten ausgeliefert. Und wozu er fähig ist, haben wir ja jetzt gesehen. Die, die seinen Giftanschlag überlebt hätten, hätten Yanqiu dafür verantwortlich gemacht.«
»Es waren immerhin ihre Fingerabdrücke auf der Spritze!«
»Er hat sie gezwungen, es zu tun. Sicher hat er ihr g e droht mit irgendwas.«
»Sie erwartet ein Kind!«, fiel mir plötzlich ein.
Abdul lächelte schwach. »Er wird ihr damit gedroht haben, sie einer zu hohen Strahlendosis auszusetzen. Ich weiß nicht, ob Yanqiu uns das jemals sagen wird …«
»Aber sie wird sich doch nicht für ihn hinrichten la s sen? Gar aus Liebe!« Das wollte allerdings entschieden besser passen. Es war von beklemmender Logik, wenn auch nur des Vorurteils. »Das große Opfer der Chang ’ e.«
Eine tiefe, müde Stille knisterte in den Laken und u n seren Atemzügen, die Herz-Kreislauf-Überwachung piepste leise vor sich hin. Die Krankenschwester war i n zwischen verschwunden, wie ich feststellte. Es war aba r tig still.
»Ich glaube nicht«, flüsterte Abdul kraftlos, »dass sie sich für ihn opfern wollte. Es war nur ihre einzige Cha n ce, davonzukommen und ihr Kind zu retten.«
Vielleicht hatte sie den Kommandanten sogar geliebt. Womöglich war es ihr schwergefallen,
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