Lehmann, Christine
Postkartenständer. Richard zahlte am Kassenverschlag dreimal 1,60 Eintritt. Eine knarzende Holztreppe kreiste die Wand hinauf. Ich klemmte mir Cipión unter den Arm. Turnschuhe, Sandalen, fallende Kinder und sich ans G e länder klammernde Höhenängstliche kamen uns entgegen. Ich nahm mir vor, mit dem Rauchen aufzuh ö ren.
»Immerhin der südlichste Leuchtturm Deutschlands«, bemerkte Richard. »Und der höchste, wenn man die 428 Meter über Normalnull mitrechnet.«
Michel schwitzte.
Der Ausstieg auf die Plattform war steil wie ein Schiffsniedergang. Ich setzte Cipión ab, der sofort gegen den Uhrzeigersinn losdackelte, so weit die Leine reichte.
»Ah!«, dehnte sich Michel Ardan.
Im Hafen kündigte mit Ding-Dong ein Sprecher eine Dreiländerrundfahrt an, die beim alten Leuchtturm sta r ten werde. Im Freibad hinter dem Yachthafen kreischten aus vollen Lungen die Kinder. Segelschiffe zogen über den Obersee. Der Blick wanderte zwangläufig die Küstenl i nie entlang über Bregenz, durchs Fußacher Loch zur Al t rheinmündung und dann in die Schweizer Berge, auf d e nen noch Schnee lag.
Am südseitigen Fernrohr blieb Richard abrupt stehen. Auf der Wand des grün gestrichenen achtflächigen Au f satzes für das Leuchtfeuer stand mit weißer Farbe g e sprüht: »Hier waren Tina u. Scarlet 05.« Herzchen a n stelle der i-Punkte. Aus irgendeinem rätselhaften Grund schwarmintelligenter Entscheidungen waren wir völlig allein auf der Aussichtsplattform.
»Was glauben Sie denn, Dr. Ardan?«, fragte Richard plötzlich. »Warum musste Torsten Veith sterben?«
Wind wuschelte in Michels Locken. Er griff sich ins Sakko, holte ein Taschentuch hervor und wischte sich die Stirn ab. »Woher soll ich das wissen?«
»Kommen Sie! Sie haben ihn schon in Ihrer Zeit als Auslandskorrespondent in Bolivien kennengelernt. Veith hat damals im Salar de Uyuni, in der Salzwüste, für die TSE/SSF Unterdruckverfahren für Gastransporte gete s tet, und Sie haben über den Gaskonflikt berichtet.«
»Bolivien ist eins der ärmsten Länder Südamerikas und besitzt zugleich das zweitgrößte Erdgasvorko m men.« Eigentlich eine Routineantwort, dennoch stotterte M i chel. »Doch die meisten Familien können sich nicht ei n mal einen Gasanschluss leisten.«
»Ja, die Welt ist kompliziert, und wer gegen die Gro ß konzerne schreibt, wird immer verstanden.«
»Sie sind ja noch zynischer als ich, Herr Staatsanwalt, und das will was heißen!«
Richard lächelte nachsichtig. »Nun ja, das Wasser in Bolivien ist schon seit Jahren wieder verstaatlicht und die Gasvorkommen jetzt auch, dank des neuen indianischen Präsidenten Morales. Und alles wird gut.«
»Das behaupte ich ja gar nicht, aber …«
»Überlassen wir die Politik denen, die sie machen wollen, Monsieur Ardan. Ich bin nur ein kleiner Staat s anwalt, und Sie sind nur ein Journalist. Wir retten die Welt nicht.«
Auf Michels Gesicht machte sich Ratlosigkeit breit, eine Mimik, die Richard besonders schätzte.
»Sie haben sich damals mit der TSE angelegt, die die Leitsysteme für die Gasförderung und den Transport ins Ausland geliefert hat. Nach einer Explosion mit fünf To ten haben Sie dem Konzern vorgeworfen, rücksicht s los riskante Technologien zu testen, die für die Rau m fahrt, insbesondere die Eroberung des Mondes bestimmt sind.«
»Da waren und sind sie nicht die Einzigen, Monsieur le Procureur . Und Sie haben recht, Sie und ich richten nichts dagegen aus. Ich vielleicht noch eher als Sie, denn ich habe eine Million Leser! Und eines ist doch klar: Der Beweis von extr a terrestrischem Leben würde den Abbau von Bodenschätzen auf dem Mond massiv infrage ste l len.«
Richard seufzte. »Inwiefern, Monsieur Ardan?«
Michel versuchte zu grinsen. »Der Mond gehörte uns dann nicht mehr, n ’ est-ce pas? Kommen Sie heute Abend zu meinem Vortrag in die Inselhalle.«
»Ach was, Ihnen geht es doch gar nicht um extrater res t risches Leben! Sie sind gegen die Industrialisierung der Raumfahrt und des Mondes, besonders dann, wenn Ihr Lokalunternehmen aus Marseille, die TSE, darin ve r wi ckelt ist. Woher haben Sie denn Ihre Informationen über das, was die TSE und unsere SSF auf dem Mond m a chen? Von Ihrem alten Freund Torsten Veith?«
Der Franzose hob die Hände. »Informantenschutz!«
»Veith brauchen Sie nicht mehr zu schützen, Monsieur Ardan. Der ist schon tot.«
»In welcher Angelegenheit ermitteln Sie eigentlich? Und gegen wen?«
»Vielleicht gegen Sie,
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