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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nachtkrater
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Staub. Er verklebt ihre Atemröhren und Fühler, you know?«
    Nein, das hatte ich nicht gewusst. Ich musste vorsor g lich schon mal niesen.
    Van Sung lachte. »Wir Mondastronauten werden wahrscheinlich alle an einer Staublunge oder Lunge n krebs sterben, you know.«
    Ah so. Ich hungerte nach Nikotin und Zigarettenteer. Wenn ich sowieso an Lungenkrebs sterben würde. Plöt z lich verstand ich Richards Todesverachtung. Für ihn war der Aufenthalt im irdischen Jammertal nur eine Pflich t übung gewesen, die man nicht unbedingt verlängerte. Für mich als gelernte Katholikin hatte dagegen immer das Fegefeuer vor dem himmlischen Frieden gestanden. Konnte es schlimmer sein als mein momentaner Z u stand? So mussten sich Untote fühlen. Gierig, aber ohne Aussicht auf Leben.
    »Die Schwierigkeit war nur: Wie kann man Ameisen unter echten Mondbedingungen draußen laufen lassen, ohne dass sie am Vakuum sterben. Und da ist der Japaner auf eine Idee gekommen, die …«
    Ich musste wieder niesen. Es riss den ganzen Rotz aus den Tiefen meiner Stirnhöhlen. »Ein Taschentuch!«, h e chelte ich. Mein Ärmel reichte zum Abwischen, aber nicht zum Schnäuzen. »Gibt ’ s hier denn keine Tasche n tücher, verdammt!«
    Der Brillenwaran schaute sich um. »Auf dem Abort gibt es Tücher.« Er deutete auf eine Ecke im Biolab, in der eine Abortröhre stand. »Du kannst sogar Wasser b e nutzen. Aber dann musst du die Tür zumachen, sonst geht der Unterdruckabfluss nicht an.«
    Alles klar. Ich zog die Aborttür zu. Der Wasserspa r modus des Hahns verlangte entschlossenes Handeln. Ich rüsselte ins Becken. Der Abfluss schlürfte Schleim und Wasser weg. Ohne den Sog wären die Wassertropfen vom Becken vermutlich meterhoch abgesprungen und hätten sich in der dicken Luft des Habitats zu dichten Nebeln zusammengerottet.
    Zum Abtrocknen gab es Wegwerfzellulose. Keinen Handtuschspender. Also durften wir uns auf der Erde keine Hoffnung auf Innovationen diesbezüglich machen. Das war doch auch schon mal eine zukunftsweisende Antwort.
    Was, wenn die Dame mit der roten Hose doch nicht zufällig im Café Venezia an der Promenade von Frie d richshafen aufs Klo gegangen war, fragte ich mich plöt z lich. Wäre Richard noch am Leben, wenn ich dem feur i gen Hintern schon in Friedrichshafen gefolgt wäre, statt mich mit Juana, Luca und Diana aufzuhalten? Weg mit solchen Fragen! Klärung ausgeschlossen.
    Ich schluckte krampfhaft. Meine Ohren waren schon wieder zugefallen, wie bei Druckabfall im Flugzeug. Die Wände der Nasszelle bestanden aus einer Haut, die sich sanft nach innen bauchte. Nur die Tür hatte einen festen Rahmen. Ich drehte den Türriegel und zog. Kein Effekt. Also drücken. Klar, die Tür musste nach außen aufgehen, schon aus Platzgründen. Aber, verdammt noch mal. War ich schon zu blöd, eine Tür zu öffnen? Oben in meinem Quartier war es doch auch gegangen.
    Aber es ging nicht.
    Lisa, jetzt ganz ruhig. Das sind erste Ausfallersche i nungen durch Überanstrengung. Immerhin war ich erst vor drei Tagen aus meinem Wachkoma erwacht und he u te auf dem Mond gelandet. Nach Reisen sollte man sich eigentlich ein halbes Stündchen hinlegen, die Seele nachholen!
    Gedämpfte Musik schlich sich in mein Hirn. Nein, sie war keine Einbildung, sie war real. Sie kam aus den Lautsprechern der Intercom. Es waren chinesische Klä n ge. Unter Drachen und Masken mischte sich amerikan i sche Gutelaunerhetorik. »Good evening, this is Radio High Noon …« Was? Oder hatte er High Moon gesagt? »Un te r brecht eure Arbeit, fahrt eure Computer herunter, kommt rauf zum Essenfassen!«
    Auf einmal fiel mir auf, wie still es vorher in meiner Abortzelle gewesen war. Viel zu still! Noch immer hörte ich das Saugen der Unterdruckmaschinerie, aber das Frischluftgebläse fehlte.
    »Kommandant Leslie Butcher hat interessante News für euch«, trötete der Stationsmoderator. »Wir werden neue Gesichter begrüßen. Es ist jetzt siebzehn Uhr und genau vierundfünfzig Minuten …«
    Nun sei doch mal still!
    »Das Mondwetter: Sonnenschein! Die Aussichten: Sonnenschein. Und damit ist es Zeit für unseren tägl i chen Mondwitz. Aufgepasst: Seit der erste polnische Kosm o naut im All war, fehlen dem Großen Wagen die Räder.« Die Stimme von Radio High Moon wieherte.
    Ich begann zu keuchen. Mehr aus Angst vermutlich. Bis heute bin ich mir nicht sicher, ob ich wirklich erstickt wäre. Ich warf mich gegen die Tür. Aber das kannte ich schon von den Marmeladegläsern meiner Mutter:

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